12.03.2009 Zivilrecht

OGH: Unfallversicherung - Unfall iSd Art 3 USVB 1995

Die in Art 3.1. USVB 1995 normierte "Unfreiwilligkeit" bezieht sich auf die Verletzung; steht nicht fest, dass sich der Versicherte zumindest bedingt vorsätzlich verletzen wollte, die Verletzung also freiwillig (zwecks Selbstbeschädigung) erfolgte, ist vom Vorliegen eines Versicherungsfalls auszugehen


Schlagworte: Versicherungsrecht, Unfallversicherung, Unfreiwilligkeit, Risikoausschluss
Gesetze:

Art 3 USVG 1995, § 181 Abs 1 VersVG

GZ 7 Ob 217/08z, 10.12.2008

Dem Unfallversicherungsvertrag zwischen den Parteien liegen die USVB 1995 zugrunde. Art 3 lautet:"1. Ein Unfall ist ein vom Willen des Versicherten unabhängiges Ereignis, das plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf seinen Körper einwirkt und eine körperliche Schädigung oder den Tod nach sich zieht.

2. Als Unfall gelten auch folgende vom Willen des Versicherten unabhängige Ereignisse ...- Verrenkungen von Gliedern sowie Zerrungen und Zerreißungen von an Gliedmaßen und an der Wirbelsäule befindlichen Muskeln, Sehnen, Bändern und Kapseln infolge plötzlicher Abweichung vom geplanten Bewegungsablauf."

In Art 17 USVB 1995 werden bestimmte Unfälle von der Versicherung ausgeschlossen, so auch Unfälle beim Versuch oder der Begehung gerichtlich strafbarer Handlungen durch den Versicherten, für die Vorsatz ein Tatbestandsmerkmal ist.

Bei einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und einem Dritten kam es zum Bruch des rechten Ringfingers des Klägers.

OGH: Nach stRsp hat der die Leistungsfreiheit in Anspruch nehmende Versicherer nach § 181 Abs 1 VersVG zu beweisen, dass der vom Unfall Betroffene diesen vorsätzlich herbeigeführt hat. Diese Gesetzesbestimmung enthält aber nachgiebiges Recht. Nach den von den Versicherungsgesellschaften erlassenen Versicherungsbedingungen bildet das Erleiden eines unfreiwilligen Unfalls in der Regel eine Voraussetzung für den Leistungsanspruch. Dies ist auch nach Art 3 USVB 1995 der Fall. Es reicht in der Regel zum Nachweis des Versicherungsfalls aus, wenn der Versicherungsnehmer Umstände dartut, die die Möglichkeit eines Unfalls naheliegend erscheinen lassen. Sache des Versicherers ist es, Umstände zu behaupten und zu beweisen, die dafür sprechen, dass das die körperliche Schädigung herbeiführende Ereignis nicht unabhängig vom Willen des Versicherten gewesen ist. Ist dies geschehen, so muss der Versicherungsnehmer beweisen, dass sich dessen ungeachtet der Unfall unfreiwillig ereignet hat. Sprechen also gewichtige Argumente gegen die Unfreiwilligkeit, so muss der Versicherte eine Beweislage schaffen, aus der sich nachvollziehen lässt, dass den Argumenten, die gegen die Unfreiwilligkeit sprechen, andere gewichtige Argumente gegenüberstehen, aus denen sich das Gegenteil ableiten lässt.

Um Aufschluss über den den USVB 1995 zugrunde liegenden Unfallbegriff zu erhalten, müssen deren Art 3.1. und 3.2. sowie Art 17 im Zusammenhang gelesen werden. Auch wenn nach der Formulierung in Art 3.1. USVB 1995 unklar sein kann, ob sich die Unfreiwilligkeit nur auf den Vorfall oder auch auf die körperliche Schädigung oder den Tod bezieht, so hilft dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, auf den bei der Auslegung der Bedingungen abzustellen ist, bei der Auslegung, dass nach Art 3.2. USVB 1995 als "Ereignisse" ua Verrenkungen von Gliedern definiert sind, also Verletzungen bezeichnet werden. Damit ist - zumindest im Zweifel zu Lasten des Versicherers - klargestellt, dass sich das Wort "unfreiwillig" in Art 3.1. USVB 1995 auf die Verletzung bezieht. Dieses Ergebnis wird auch durch Art 17 USVB 1995 bekräftigt, der Unfälle bei vorsätzlich begangenen strafbaren Handlungen ausschließt. Diesem sekundären Risikoausschluss wäre der Anwendungsbereich entzogen, wenn man schon bei der Definition des Versicherungsfalls nur darauf abstellen müsste, ob der zur Verletzung führende Vorgang selbst vorsätzlich herbeigeführt wurde. Eine Abgrenzung zu - von der Versicherung unstrittig umfassten - Sportverletzungen, bei denen zwar häufig der Vorfall, nicht jedoch die Verletzung, freiwillig oder mit bedingtem Vorsatz herbeigeführt wurde, wäre kaum möglich.

Im vorliegenden Fall sind zwei gleichermaßen mögliche Handlungsabläufe festgestellt. In keinem Fall steht fest, dass sich der Kläger zumindest bedingt vorsätzlich verletzen wollte, die Verletzung also freiwillig (zur Selbstbeschädigung) erfolgte. Damit hat der Kläger iSd dargelegten Judikatur das Vorliegen eines Versicherungsfalls nach Art 3 USVB 1995 bewiesen. Zu prüfen bleibt daher der Risikoausschluss nach Art 17 USVB 1995. Nach stRsp trifft den Versicherer die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für einen sekundären Risikoausschluss. Da ein rechtswidriger Angriff des Klägers auf den Dritten als Unfallursache nicht feststeht, sondern die Verletzung genauso gut bei einer Notwehrhandlung entstanden sein könnte, ist der Beklagten der Beweis der Begehung (des Versuchs der Begehung) einer vorsätzlichen Straftat durch den Kläger und damit das Vorliegen des Risikoausschlusses nicht gelungen. Sie ist daher nicht leistungsfrei.