OGH: Mietrecht - Schutz- und Sorgfaltspflichten bei Verletzung eines Querschnittgelähmten aufgrund verstelltem Türschließer?
Es würde die Erhaltungspflicht des Vermieters überspannen, wollte man ihn zur lückenlosen Überwachung der Einstellung eines Türschließers verpflichten
§§ 1295 ff ABGB, § 1096 ABGB
GZ 1 Ob 39/08d, 11.08.2008
Der Kläger ist Mieter einer in einem Wohnhaus der Beklagten gelegenen Wohnung, die Beklagte Vermieterin. Im Mietvertrag wurde festgehalten, dass es sich um eine behindertengerecht ausgestattete Wohnung handle - der Kläger ist querschnittgelähmt. Am 24. 8. 2001 öffnete der im Rollstuhl sitzende Kläger die Hauseingangstür, um zu seiner Wohnung zu gelangen. Beim Öffnen des Gehflügels spürte er einen größeren Widerstand als sonst üblich. Die Ursache hiefür lag darin, dass entweder von einem Hausbewohner die Einstellung des Türschließers verändert worden war, oder dass beim Öffnen der Tür durch ein offenes Fenster im Stiegenhaus oder die offene Kellertür ein Luftzug entstand. Nachdem der Kläger die Haustür schon geöffnet hatte, fiel er infolge der beim Hineinziehen des Rollstuhls und gleichzeitig zum Aufdrücken der Tür aufgewendeten Kraft mit dem Oberkörper nach vor aus dem Rollstuhl auf den Boden und fügte sich dadurch eine Splitterfraktur des rechten Knies sowie einen Bruch des linken Oberschenkels und des linken Wadenbeins zu.
Der Kläger begehrte Schmerzengeld. Da die Beklagte die Wohnung unter dem Gesichtspunkt eines "behördlich genehmigten Behindertenhauses" vermietet habe, treffe sie eine wesentlich höhere Sorgfaltspflicht für die Funktionalität sämtlicher Bestandteile des Hauses als bei anderen Häusern, welche nur von nicht behinderten Personen benützt werden.
OGH: Das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt sowie der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht bzw wann die Grenze der Zumutbarkeit weiterer oder erhöhter Verkehrssicherungspflichten erreicht oder überschritten ist, richtet sich generell nach den Umständen des Einzelfalls.
Bei der Auslegung von Verträgen ist grundsätzlich nur auf die Umstände im Zeitpunkt der Vertragserklärung abzustellen, sodass zukünftige Änderungen der Verkehrsauffassung oder auch der Rechtslage im Allgemeinen nicht in die Erhaltungspflicht einfließen. Der Vermieter ist im Allgemeinen nicht zur laufenden Anpassung bzw Modernisierung des Bestandobjekts verpflichtet, sofern nicht gesetzliche oder vertragliche Mindeststandards unterschritten werden.
Bei der Abgrenzung der aus einer vertraglichen Sonderverbindung entspringenden Schutz- und Sorgfaltspflichten sind die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die von den Verwaltungsbehörden erteilten Bewilligungen bedeutsam. Durch diese werden im Einzelfall die Grenzen der verkehrsüblichen und vom Erwartungshorizont der Beteiligtenkreise als zumutbar umfassten Anforderungen aber nicht schlechthin abgesteckt, sondern wird vielmehr lediglich der Mindeststandard der dem Verantwortlichen obliegenden Sicherheitsvorkehrungen umrissen. Dabei kann den Hauseigentümer eine einmal erteilte Benützungsbewilligung nicht für allemal entschuldigen, sondern hat er die bauliche Sicherheit laufend zu überprüfen und die Baulichkeiten dem Ergebnis der Kontrolle entsprechend einwandfrei instandzusetzen und ganz allgemein den für die körperliche Sicherheit der Gäste - bzw Bewohner - maßgeblichen, nach einschlägigen Gesetzen und anderen Vorschriften, aber auch nach dem jeweiligen Stand der Technik geltenden Mindeststandard durch ihm zumutbare Verbesserungsarbeiten einzuhalten. Dieser Mindeststandard ist herzustellen, soferne die Vorschriften die Sicherheitsanforderungen verschärfen.
Die mietvertragliche Nebenleistungsverpflichtung des Hauseigentümers besteht darin, den Zugang zu einem vermieteten Objekt während der gesamten Bestandzeit in sicherem Zustand zu erhalten. Erleidet der Mieter durch die mangelhafte Beschaffenheit des Zugangs zum vermieteten Objekt einen Schaden, ist ihm der Vermieter ersatzpflichtig, sofern er nicht nachweisen kann, dass ihn an der Nichterfüllung seiner Erhaltungspflicht kein Verschulden trifft. Es würde aber die Erhaltungspflicht des Vermieters überspannen, wollte man ihn zur lückenlosen Überwachung der Einstellung eines Türschließers verpflichten.