11.09.2008 Zivilrecht

OGH: Ersatz der fiktiven Reparaturkosten oder der höheren objektiven Wertminderung?

Verbliebe aufgrund der konkreten (erheblichen) Beschädigung trotz fachgerechter Reparatur ein beachtliches Risiko verborgener Mängel, welche die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs beeinträchtigen könnten, erscheint es sachgerecht, dem Geschädigten, der sein begründetes Misstrauen in die Wiederherstellbarkeit der Sicherheit des Fahrzeugs durch Veräußerung des unreparierten Fahrzeugs zum Ausdruck bringt, Schadenersatz auf Basis der objektiven Wertminderung statt der fiktiven Reparaturkosten zu gewähren


Schlagworte: Schadenersatzrecht, fiktive Reparaturkosten, objektive Wertminderung
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 2 Ob 158/07k, 26.06.2008

Bei einem unverschuldeten Verkehrsunfall entstand an dem vom Kläger gelenkten Pkw erheblicher Sachschaden. Der Kläger begründet die Ablehnung der grundsätzlich wirtschaftlichen Reparatur des beschädigten Fahrzeugs damit, dass ihm aufgrund der Art und Schwere der Schäden die Benützung des instandgesetzten Fahrzeugs aus Sicherheitsgründen nicht mehr zumutbar gewesen wäre.

Die beklagte Partei steht auf dem Standpunkt, der Schadenersatzanspruch des Klägers sei der Höhe nach mit den fiktiven Reparaturkosten betraglich begrenzt.

OGH: Nach stRsp des OGH hat der Geschädigte Anspruch auf Ersatz der fiktiven Reparaturkosten, das sind die zur Instandsetzung seines Fahrzeugs notwendigen und angemessenen Reparaturkosten, gleichgültig, ob er die Reparatur tatsächlich durchführen lässt oder das Geld sonst wie verwendet. Wird die Reparatur aber durchgeführt, dann steht dem Geschädigten ein Anspruch auf die tatsächlichen Kosten zu, selbst wenn diese den Zeitwert geringfügig übersteigen.

Nach neuerer Rechtsprechung sind fiktive Reparaturkosten nicht in voller Höhe zu ersetzen, wenn sie höher als die objektive Wertminderung sind; eine darüber hinausgehende Leistung würde zu einer dem schadenersatzrechtlichen Ausgleichsgedanken widersprechenden Bereicherung des Geschädigten führen. Danach stellt die Differenz zwischen dem gemeinen Wert der Sache im unbeschädigten und dem im beschädigten Zustand das Höchstmaß des zuzusprechenden Ersatzes dar. Steht fest, dass die Reparatur nicht durchgeführt wird, so ist im Sinne dieser Rechtsprechung ein über die objektive Wertminderung hinausgehendes Begehren abzuweisen.

Grundsätzlich bilden immer dann, wenn eine technisch einwandfreie Reparatur möglich und wirtschaftlich noch zweckmäßig ist, deren Kosten die Grundlage des Ersatzanspruchs. Unterschreiten die fiktiven Reparaturkosten die objektive Wertminderung, so steht dem Geschädigten daher grundsätzlich der Anspruch auf Ersatz der fiktiven Reparaturkosten zu. Ein "Wahlrecht" des Geschädigten, statt der fiktiven Reparaturkosten die (höhere) objektive Wertminderung zu begehren, scheitert schon am Vorrang der Naturalrestitution (bzw des Geldersatzes hiefür), auf die sich - wegen der Schadensminderungspflicht des Geschädigten - auch der Schädiger berufen kann.

Voraussetzung für die Berechnung des Schadens nach den fiktiven Reparaturkosten ist aber, dass eine technisch einwandfreie Reparatur möglich und nicht untunlich ist. Von Untunlichkeit wäre auch dann auszugehen, wenn dem Geschädigten trotz Wirtschaftlichkeit einer Wiederherstellung die Reparatur aus besonderen Gründen nicht zuzumuten ist. Der erkennende Senat hat jüngst in der Entscheidung 2 Ob 162/06x die Abrechnung eines Kfz-Sachschadens auf Neuwagenbasis ausnahmsweise als zulässig erachtet. In diesem Zusammenhang wurde anhand mehrerer Fälle aus der älteren Rechtsprechung des OGH sowie der aktuellen Rechtslage in Deutschland dargestellt, dass dem Geschädigten unter gewissen Voraussetzungen die Weiterbenützung eines erheblich beschädigten Neuwagens ungeachtet der rechnerischen Wirtschaftlichkeit einer Reparatur nicht zugemutet werden kann. Dabei kommt es maßgeblich auf das Vorliegen einer "erheblichen Beschädigung" (auch: "schweren Havarie") an, wovon inbesondere dann auszugehen ist, wenn durch den Schaden für die Sicherheit des Fahrzeugs bedeutsame Teile betroffen sind. Dies wurde in der deutschen Rechtsprechung etwa bei Unfällen mit Rahmen- und Achsschäden, aber auch bei - im Verhältnis zu den Anschaffungskosten - hohen Reparaturkosten bejaht.

Die der Entscheidung 2 Ob 162/06x zu Grunde gelegten Erwägungen können für die Schadensberechnung aber auch dann beachtlich sein, wenn das (erheblich) beschädigte Fahrzeug die Kriterien eines Neuwagens nicht mehr erfüllt. Verbliebe aufgrund der konkreten Beschädigung trotz fachgerechter Reparatur ein beachtliches Risiko verborgener Mängel, welche die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs beeinträchtigen könnten, wäre dem Geschädigten die Weiterbenützung des Fahrzeugs nicht mehr zumutbar. Davon kann - ungeachtet moderner Reparaturtechniken - jedenfalls ausgegangen werden, wenn die Schäden von der Qualität einer "erheblichen Beschädigung" iSd Ausführungen zur Abrechnung auf Neuwagenbasis sind. In solchen Fällen erscheint es sachgerecht, dem Geschädigten, der sein begründetes Misstrauen in die Wiederherstellbarkeit der Sicherheit des Fahrzeugs durch Veräußerung des unreparierten Fahrzeugs zum Ausdruck bringt, Schadenersatz auf Basis der objektiven Wertminderung statt der fiktiven Reparaturkosten zu gewähren.

Diese Überlegungen treffen bei einem beschädigten Leasingfahrzeug gleichermaßen auf den Leasinggeber und den wirtschaftlich betroffenen Leasingnehmer zu.

Im Begutachtungsbericht wird der Schaden als "schwerer Frontschaden rechts und seitlich mit Stauchung im Dach bei B-Säule, rechte Achshälfte beschädigt, rechter vorderer Längsträger im vorderen Bereich gestaucht" beschrieben. Daraus und aus der anschließenden Auflistung der zu erneuernden und in Stand zu setzenden Teile folgt, dass für die Sicherheit des Fahrzeugs bedeutsame tragende Teile beschädigt worden sind. Unter diesen Umständen wäre eine Reparatur zwar wirtschaftlich, dennoch aber untunlich gewesen, weil dem Geschädigten die Weiterbenützung des - obgleich fachgerecht - reparierten Fahrzeugs nicht mehr zumutbar war.