OGH: Vertragliche Haftung des Vermieters bei Verletzung der Räum- und Streupflicht auf dem öffentlichen Verkehr dienenden Flächen (§ 93 Abs 1 StVO) ?
Die vertragliche Räumungs- und Streupflicht des Bestandgebers erstreckt sich im Verhältnis zu Bestandnehmern oder dritten, ebenfalls vom Schutzbereich des Mietvertrags umfassten Personen jedenfalls auf den gesamten Bereich, den der Bestandgeber nach § 93 Abs 1 StVO zu säubern und zu bestreuen hat; die mietvertragliche Verkehrssicherungspflicht des Liegenschaftseigentümers bleibt also in ihrem Umfang nicht hinter seiner deliktsrechtlichen zurück
§ 1096 ABGB, § 93 Abs 1 StVO
GZ 2 Ob 60/08z, 10.04.2008
Der Erstbeklagte ist Eigentümer eines Hauses in Linz, in dem der Kläger eine Wohnung gemietet hatte. Der Erstbeklagte hat die Zweitbeklagte mit dem Winterdienst, insbesondere der Schneeräumung und Streuung (auch) des Gehsteigs vor dem Haus beauftragt. Nachdem der Kläger seine Wohnung verlassen hatte, stürzte er einige Meter vom Eingang entfernt an der Hausecke auf dem schnee- und eisbedeckten Gehsteig und verletzte sich.
OGH: § 1096 Abs 1 Satz 1 ABGB verpflichtet den Bestandgeber, das Bestandobjekt in brauchbarem Zustand zu erhalten und den Bestandnehmer im vereinbarten Gebrauch nicht zu stören. Die Instandhaltungspflicht des Vermieters umfasst nicht nur das eigentliche Bestandobjekt oder mitgemietete, außerhalb davon gelegene Räumlichkeiten oder Flächen, sondern auch die allgemeinen Teile des Hauses, die der Mieter nach Vertrag oder Verkehrsübung benutzen darf.
Neben den in § 1096 Abs 1 Satz 1 ABGB angeführten Hauptleistungspflichten treffen den Vermieter gegenüber dem Mieter Schutz- und Sorgfaltspflichten, vor allem wenn es um Gefahrenquellen geht, die mit der Beschaffenheit des Bestandobjekts im Zusammenhang stehen. Der Vermieter hat dafür zu sorgen, dass der Mieter durch Gefahrenquellen, die mit dem Bestandobjekt, seiner Beschaffenheit bzw der Art des Gebrauchs zusammenhängen, nicht geschädigt wird. Dies umfasst jedenfalls die Verpflichtung des Vermieters, eine Schädigung des Mieters durch unterlassene Erhaltungs- und Betreuungsmaßnahmen (wozu in weiterem Sinn auch die Schneeräumung und die Streupflicht gehören) an allgemeinen Teilen der Liegenschaft zu verhindern. Diese Säuberungs- und Streupflicht wird als vertragliche Nebenverpflichtung aus § 1096 ABGB abgeleitet.
Unzweifelhaft ist somit die vertragliche Haftung des Vermieters für jene Unfälle von Mietern und geschützten Dritten wie Angehörigen oder Arbeitnehmern des Mieters, die sich auf nicht ordnungsgemäß geräumten oder gestreuten allgemeinen Teilen des Hauses ereigneten, zB in Innenhöfen oder auf Freiflächen innerhalb einer - aus mehreren Häusern bestehenden - Wohnhausanlage.
Eine vertragliche Verkehrssicherungspflicht (Nebenleistungsverpflichtung aus dem Bestandvertrag) trifft den Vermieter auch insofern, als er den Zugang zu einem vermieteten Objekt während der gesamten Bestandzeit in sicherem Zustand zu erhalten hat. Für die vertragliche Haftung des Vermieters ist nicht erforderlich, dass dieser Zugang ausschließlich über eine im Eigentum des Vermieters stehende Fläche führt.
Die in § 93 Abs 1 StVO geregelte Verpflichtung der Anrainer bezieht sich ausschließlich auf Flächen, die dem öffentlichen Verkehr dienen: zu säubern und zu bestreuen sind die entlang der Liegenschaft vorhandenen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege einschließlich der in ihrem Zuge befindlichen Stiegenanlagen sowie mangels eines Gehsteigs (Gehwegs) der Straßenrand in einer Breite von 1 m. Diese Säuberungs- und Streupflicht ist eine gegenüber der Allgemeinheit bestehende (gesetzliche) Obliegenheit zur Verkehrssicherung. Zu dem - auch hier zu beurteilenden - Verhältnis des Bestandgebers zum Bestandnehmer hat der OGH bereits ausgesprochen, dass der Vermieter für den Sturz eines Mieters am Straßenrand, der mangels eines Gehsteigs vom Vermieter zu räumen war, vertraglich aus dem Grund des § 1096 ABGB haftet.
Im Fall des bereits mit Verkehrssicherungspflichten belasteten Vermieters und Anrainers liegt eine unzumutbare Ausweitung von Verkehrssicherungspflichten nicht vor, wenn die Nebenverpflichtung gegenüber dem Mieter auf den gesamten nach § 93 Abs 1 StVO von der Streu- und Räumpflicht erfassten öffentlichen Gehsteig ausgedehnt wird. Überzeugend ist das Argument des Revisionswerbers, in dem er auf die Verpflichtung der Mieter verweist, die Kosten der Schneeräumung als Betriebskosten zu tragen. In den taxativ aufgezählten Betriebskostenkatalog des § 21 Abs 1 MRG fallen die angemessene Versicherung des Hauses gegen die gesetzliche Haftpflicht des Hauseigentümers (Z 5) und die in § 23 MRG bestimmten angemessenen Aufwendungen für die Hausbetreuung (Z 8 idF der WRN 2000). § 23 Abs 1 MRG idF der WRN 2000 zählt zu den zu ersetzenden Aufwendungen für die Hausbetreuung auch die Reinhaltung der in die Betreuungspflicht des Liegenschaftseigentümers fallenden Gehsteige einschließlich der Schneeräumung. Außerhalb des Vollanwendungsbereichs des MRG bestimmt sich die Verpflichtung des Mieters zur Tragung der Betriebskosten nach der mit dem Vermieter getroffenen Vereinbarung. Regelt diese Überwälzungsvereinbarung die vom Mieter zu tragenden Kosten nicht ausdrücklich, sind idR die im MRG aufgezählten Betriebskosten gemeint. Der Mieter leistet daher im Rahmen der ihm vorgeschriebenen anteiligen Betriebskosten seinen Beitrag zu den Kosten des mit dem Winterdienst beauftragten Unternehmens. Die Haftpflichtversicherung, deren Prämien ebenfalls auf die Mieter überwälzt werden, deckt auch Schadenersatzansprüche Dritter ab, welche infolge Verletzung der Streu- und Räumungspflicht (§ 93 Abs 1 StVO) entstehen.