12.06.2008 Zivilrecht

OGH: Gesetzliche vorläufige Deckung iSd § 1a Abs 2 VersVG und Verletzung der Anzeigeobliegenheiten nach § 16 VersVG

Der Versicherer kann sich bei der gesetzlichen vorläufigen Deckung auf eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit nach § 16 VersVG berufen


Schlagworte: Versicherungsvertragsrecht, (gesetzliche) vorläufige Deckung, Verletzung der Anzeigeobliegenheiten
Gesetze:

§ 1a Abs 2 VersVG, § 16 VersVG

GZ 7 Ob 248/07g, 07.02.2008

OGH: Nach § 1a Abs 2 VersVG ist der Versicherungsnehmer unter der Voraussetzung, dass er den Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrags auf einem vom Versicherer verwendeten Formblatt stellt, vom Versicherer darauf hinzuweisen, dass der Versicherungsvertrag erst mit Zugang des Versicherungsscheins oder einer gesonderten Annahmeerklärung zustande kommt und vor diesem Zeitpunkt kein Versicherungsschutz besteht. Erfüllt der Versicherer diese Hinweispflicht (genauer: Hinweisobliegenheit) nicht oder kann er ihre Erfüllung nicht beweisen, hat er den beantragten Versicherungsschutz "nach Art einer gesetzlich angeordneten vorläufigen Deckung" zu gewähren. Das durch die vorläufige Deckung geschaffene Rechtsverhältnis und der spätere Versicherungsvertrag sind grundsätzlich zwei selbständige Rechtsverhältnisse. Wird vorläufige Deckung vereinbart und gewährt sie der Versicherer nach der Vereinbarung, ohne zuvor den Antrag zu prüfen und auch ohne für die vorläufige Deckung im Einzelfall nach besonderen Gefahrumständen zu fragen, dann kann dies nach der im Schrifttum vertretenen Ansicht iSd § 16 VersVG so aufgefasst werden, dass für die Gewährung der vorläufigen Deckung allfällige Anzeigeverletzungen keinen Einfluss haben, der Versicherer sich also in diesem Fall auf die §§ 16 ff VersVG bei Falschangaben nicht berufen kann. Wenn allerdings die vorläufige Deckung bei Antragstellung für den endgültigen Vertrag gewährt und im Antragsformular auch nach besonderen Gefahrenumständen gefragt wird, sind die darauf gegebenen Antworten sowohl auf die vorläufige als auch die endgültige Deckung zu beziehen.

Hier kommt allerdings mangels Hinweises durch den Versicherer die gesetzliche vorläufige Deckung nach § 1a Abs 2 VersVG zum Tragen. Die zu beantwortende Frage ist daher, ob der Versicherer sich bei der gesetzlichen vorläufigen Deckung auf die Verletzung der Anzeigeobliegenheiten nach § 16 VersVG berufen kann.

Der Umfang der Deckung hat sich am beantragten Versicherungsschutz zu orientieren. Das heißt, der Umfang der gesetzlichen vorläufigen Deckungspflicht entspricht jenem des beantragten Vertrags. Es liegt kein Umstand vor, der einen Willen des Gesetzgebers erkennen ließe, dem Versicherer solle im Rahmen der vorläufigen Deckung eine - vom Versicherungsnehmer gar nicht zu erwartende - weiter gehende Deckungspflicht aufgebürdet werden als sie sich dann bei einem späteren Vertragsabschluss ergeben würde. Der Versicherungsnehmer soll im Rahmen der gesetzlichen vorläufigen Deckung nur so gestellt werden, wie wenn der erst abzuschließende Vertrag bereits vor Vertragsabschluss vorläufig Geltung hätte. Bei Vertragsabschluss gelten die §§ 16 ff VersVG kraft Gesetzes. Diese Bestimmungen sind analog auch für die gleiche Interessenlage bei der gesetzlichen vorläufigen Deckung anzuwenden. Der Versicherer kann sich also bei Verletzung der Anzeigeobliegenheit nach § 16 VersVG auf Leistungsfreiheit berufen. Nach § 16 Abs 1 VersVG hat der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrags alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich sind Gefahrenumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss auszuüben. Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich fragt, gilt im Zweifel als erheblich. Zur Bejahung der Gefahrenerheblichkeit von Umständen reicht es aus, dass der vom Versicherer nachgewiesene Umstand bei objektiver Betrachtung geeignet ist, einen Entschluss des Versicherers, den Antrag abzulehnen, zu motivieren. Ist der Vorschrift des § 16 Abs 1 VersVG zuwider die Anzeige eines erheblichen Umstands unterblieben, so kann der Versicherer nach § 16 Abs 2 VersVG vom Vertrag zurücktreten. Nach stRsp kann sich der Versicherer aber auch ohne Vertragsauflösung auf Leistungsfreiheit berufen, wenn er von der Verletzung der betreffenden vorvertraglichen Obliegenheit (Anzeigepflicht) erst nach dem Versicherungsfall erfahren hat. Die Leistungsfreiheit ergibt sich aus dem Gesetz, sodass es auf die Vereinbarung von Bedingungen nicht ankommt. Diese Grundsätze sind hier analog auf die gesetzliche vorläufige Deckung anzuwenden.