OGH: Unfall-Vorsorge-Versicherung und Kostentragung bei Anrufung der Ärztekommission
Die in der Klausel B. 18.7. UVB 2002 vom Versicherer in die AGBs aufgenommene unbegrenzte Kostentragungspflicht ist für den Versicherungsnehmer gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB und damit nichtig, weil sie dessen Rechtsposition zu seinem Nachteil gegenüber der gerichtlichen Durchsetzung ohne sachlichen Grund verschlechtert
ArtB.18.7 AUVB 2002, § 879 Abs 3 ABGB
GZ 7 Ob 202/07t, 12.12.2007
Zwischen den Parteien besteht eine Unfall-Vorsorge-Versicherung, der die Bedingungen für die Unfallversicherung (UVB 2002 U102) zugrunde liegen. Art B.18 der UVB 2002 U102 (in der Folge UVB 2002) lautet:Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten (Ärztekommission)1. Im Fall von Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallfolgen oder darüber, in welchem Umfang die eingetretene Beeinträchtigung auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, ferner über die Beeinflussung der Unfallfolgen durch Krankheit oder Gebrechen sowie ..... entscheidet die Ärztekommission.6. Die Ärztekommission hat über ihre Tätigkeit ein Protokoll zu führen, in diesem ist die Entscheidung schriftlich zu begründen. ....7. Die Kosten der Ärztekommission werden von ihr festgesetzt und sind im Verhältnis des Obsiegens vom Versicherer und Versicherungsnehmer zu tragen. Im Fall des Art B.1 Pkt. 6. trägt die Kosten, wer die Neufeststellung verlangt hat."
OGH: Zutreffend wird vom Beklagten im Rechtsmittelverfahren nicht mehr bestritten, dass die Anrufung der Ärztekommission nach der vorliegenden Bedingungslage nur fakultativ ist. Der Versicherungsnehmer kann entscheiden, ob er die Ärztekommission anrufen oder seine Ansprüche in einem gerichtlichen Verfahren geltend machen will. Nach dem Text der Klausel hat das Ärztekommissionsverfahren aber auch dann stattzufinden, wenn dies allein der Versicherer beantragt. In diesem Fall könnte sich der Versicherungsnehmer dem Schiedsverfahren nicht entziehen. Es könnte ihm gegen seinen Willen - mit den hier zu beurteilenden Kostenfolgen - aufgezwungen werden.
Die in Art B. 18.7. UVB 2002 vorgesehene Kostenersatzpflicht des Versicherers und des Versicherungsnehmers im Verhältnis ihres Obsiegens entspricht zwar vordergründig den Bestimmungen der ZPO, bei näherer Betrachtung ist dies jedoch nicht der Fall. Im gerichtlichen Verfahren werden die Kosten der Sachverständigen und Rechtsanwälte nach den geltenden Tarifen vom Gericht, im Instanzenzug überprüfbar, bestimmt. Im Ärztekommissionsverfahren bestimmen hingegen die Ärzte ihre Gebühren ohne weitere Überprüfungsmöglichkeit durch einen Unbeteiligten selbst, ohne dass zumindest objektive Kriterien festgelegt wären, nach welchen dies zu erfolgen hat. Die im Gerichtsverfahren entstehenden Kosten sind also im Gegensatz zur hier vereinbarten Kostenregel einerseits objektiv durch Tarife vorweg festgelegt und andererseits werden sie vom Gericht, im Instanzenzug überprüfbar, bestimmt. Weiters besteht nur im gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit der Gewährung von Verfahrenshilfe. Schließlich fehlt das Korrektiv der Warnpflicht des Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren nach § 25 Abs 1 GebAG. Das Fehlen von objektiven Kriterien für die Bemessung der Kosten wiegt im vorliegenden Fall umso schwerer, weil die vom Versicherungsnehmer zu ersetzenden Kosten keiner Begrenzung unterliegen, er sich also völlig ungeschützt der Entscheidung der Ärztekommission über die Höhe der Kosten und letztlich auch implizit über die Kostentragungspflicht ausliefern muss. Die zu erwartenden Kosten sind auch deshalb nicht von vornherein abschätzbar, weil nicht einmal ausdrücklich nur auf die objektiv notwendigen Kosten abgestellt wird.
Weiters ist in der Klausel keine Vorsorge für den Fall getroffen worden, dass die vom Schiedsgericht getroffenen Feststellungen nach § 184 Abs 1 VersVG nicht verbindlich sind, wenn sie also offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen. Auch in diesem Fall müsste nämlich der Versicherungsnehmer, der allenfalls vor Gericht obsiegt, aufgrund der vereinbarten Klausel dennoch die Kosten der Ärztekommission im Verhältnis des Obsiegens nach der (erheblich unrichtigen) Entscheidung der Ärztekommission tragen, obwohl letztlich der Versicherer unterliegt. Dies würde aber dem § 66 VersVG widersprechen.
Die in der Klausel B. 18.7. UVB 2002 vom Versicherer in die AGBs aufgenommene unbegrenzte Kostentragungspflicht ist also für den Versicherungsnehmer gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB und damit nichtig, weil sie dessen Rechtsposition zu seinem Nachteil gegenüber der gerichtlichen Durchsetzung ohne sachlichen Grund verschlechtert.