OGH: Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes iZm Studienwechsel nach 3 Jahren?
Sowohl für die Beurteilung der Angemessenheit der in Anspruch genommenen Überlegungsfrist, des Ausbildungserfolgs im neuen Studienzweig als auch für die Beurteilung der dem Unterhaltspflichtigen noch zumutbaren (insgesamten) Studiendauer nach einem Wechsel des Studienzweigs sind jeweils die Umstände des Einzelfalls entscheidend
§ 140 ABGB
GZ 3 Ob 210/07i, 27.11.2007
Die Kläger (Eltern) begehren die Feststellung, dass der Unterhaltsanspruch der Beklagten (Tochter) erloschen sei. Die Beklagte habe das Diplomstudium Psychologie nicht ernsthaft und zielstrebig betrieben und ihren fehlenden Studienerfolg arglistig verschwiegen. Das Erlöschen der Studienzulassung für das Psychologiestudium zeige ihre fehlende Eignung zur Absolvierung auch jedes anderen Universitätsstudiums. Die Beklagte bezwecke mit ihrem Studienwechsel nur, die Erlangung ihrer Selbsterhaltungsfähigkeit hinaus zu schieben und sich weitere Unterhaltsleistungen zu verschaffen.
OGH: Nur ein Verschulden des Kindes am Scheitern einer angemessenen Berufsausbildung hat die Folge, dass es sich als selbsterhaltungsfähig behandeln lassen muss. Nach stRsp verliert aber ein Kind nicht schon deshalb seinen Unterhaltsanspruch, weil es aus subjektiven oder objektiven Gründen ein aufgenommenes Studium - etwa auf Grund eines entschuldbaren Irrtums über seine persönlichen Voraussetzungen oder über die mangelnden Berufsaussichten - wechselt, weil einerseits für die Wahl eines den Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Studiums eine gewisse Überlegungszeit (im Allgemeinen höchstens ein Jahr) nötig ist und andererseits sich erst im späteren Verlauf des Studiums die Unrichtigkeit der zunächst getroffenen Studienwahl herausstellen kann. Nach Ansicht der Revisionswerber indiziere im vorliegenden Fall der Verlust der Studienberechtigung bereits das Verschulden der Beklagten am Scheitern jedweder Hochschulausbildung, sodass die für den Fall des "freiwilligen" Studienwechsels entwickelte Judikatur nicht bzw nicht "undifferenziert" anwendbar sei. Dabei übersehen die Revisionswerber jedoch, dass der OGH bereits in der Entscheidung 2 Ob 97/97x ausgesprochen hat, Schuldzuweisungen mit der Rechtsfolge der bleibenden hypothetischen Selbsterhaltungsfähigkeit dürften keine entscheidende Bedeutung haben. Vielmehr sei am Kindeswohl zu messen, ob Veränderungen in der Ausbildung eines Kindes dessen Lebensverhältnisse entscheidend verbessern können. Erst danach sei zu prüfen, ob dem diesem Vorhaben widersprechenden Unterhaltspflichtigen die Verlängerung oder das Wiederaufleben der Unterhaltsverpflichtung zumutbar sei. Demnach ist auch im vorliegenden Fall der "Schuld" am Verlust der Studienberechtigung für das Diplomstudium der Psychologie an der Universität Wien jedenfalls nicht die Bedeutung beizumessen, die Beklagte sei generell für jedes andere Universitätstudium ungeeignet, wurde die erforderliche Eignung für ein Universitätsstudium doch nicht nur durch die Reifeprüfung, sondern auch durch die im neuen Studienzweig bereits erbrachten Leistungen dokumentiert. Dass der Abschluss des Bakkalaureatsstudiums der Soziologie für das berufliche Fortkommen der Beklagten von Vorteil sei, wird von den Klägern nicht in Frage gestellt. Ist also nicht von einem selbstverschuldeten Scheitern (jeglicher) Hochschulausbildung auszugehen, kann die zum "Studienwechsel" entwickelte Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall zur Anwendung gebracht werden.
Sowohl für die Beurteilung der Angemessenheit der in Anspruch genommenen Überlegungsfrist, des Ausbildungserfolgs im neuen Studienzweig als auch für die Beurteilung der dem Unterhaltspflichtigen noch zumutbaren (insgesamten) Studiendauer nach einem Wechsel des Studienzweigs sind jeweils die Umstände des Einzelfalls entscheidend. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, insbesondere im Hinblick auf die Anrechnung maßgeblicher Teilprüfungen aus dem Psychologiestudium im neuen Studium sei im vorliegenden Fall ein Studienwechsel auch noch nach drei Jahren entschuldbar, sowie die weitere Rechtsansicht, die Beklagte habe bei ihrem Soziologiestudium nunmehr einen angemessenen Studienerfolg erreicht, stellt jedenfalls keine grobe Fehlbeurteilung dar.
Für die Belastbarkeit von Geldunterhaltspflichtigen ist generell zu beachten, dass Entscheidungen in Unterhaltssachen an den Verhältnissen in einer fiktiven "intakten Familie" zu orientieren sind.
Das Fehlen von Feststellungen dazu, ob die Beklagte im Studienjahr 2005/2006 die Voraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe (wieder) erfüllt hat, begründet keinen rechtlichen Feststellungsmangel. Nur dann, wenn ein Studium in Studienabschnitte gegliedert ist - was beim Bakkalaureatsstudium der Soziologie nicht der Fall ist - könnte die Regelung des § 2 Abs 1 lit b FLAG eine geeignete Orientierungsgrundlage für die Frage sein, ob das Studium ernsthaft und zielstrebig betrieben wird.