09.01.2008 Zivilrecht

OGH: Ausführungen zu § 364 Abs 3 ABGB

Durch den Umstand, dass der Beeinträchtigte die Einwirkung bereits über einen längeren Zeitraum unbeanstandet hingenommen hat, kann eine negative Immission noch nicht ortsüblich geworden sein, weil der Beeinträchtigte vor dem Inkrafttreten des § 364 Abs 3 ABGB am 1. 7. 2004 den Entzug von Licht und Luft durch Bäume und andere Pflanzen nicht abwehren konnte


Schlagworte: Sachenrecht, negative Immissionen, unzumutbar, Urteilsbegehren
Gesetze:

§ 364 Abs 3 ABGB

GZ 10 Ob 60/06f, 09.10.2007

OGH: Nachbar nach §§ 364 und 364a ABGB ist nicht nur der Eigentümer unmittelbar angrenzender Grundflächen, sondern jeder Eigentümer, der von Maßnahmen, die vom Grundstück der Beklagten ausgehen, betroffen wurde, und zwar ohne Unterschied, wie groß die Entfernung ist und welche Grundstücke dazwischen liegen. Auch für den am 1. 7. 2004 in Kraft getretenen § 364 Abs 3 ABGB ist dieser Begriff des Nachbarn maßgeblich.

Ob den Klägern der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zusteht, weil allfällige Beeinträchtigungen durch Pflanzen auf dem Grundstück der Beklagten bereits bei Erwerb der Liegenschaften durch die Kläger bestanden, hat mit dem Begriff des Nachbarn nichts zu tun.

Der Eigentümer eines Grundstückes kann dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden mittelbaren Immissionen insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen (§ 364 Abs 2 ABGB). Gem § 364 Abs 3 Satz 1 ABGB, auf den die Kläger ihr Begehren stützen, kann der Grundstückseigentümer einem Nachbarn die von dessen Bäumen oder anderen Pflanzen ausgehenden Einwirkungen durch den Entzug von Licht oder Luft ("negative Immissionen") insoweit untersagen, als diese das Maß des Abs 2 überschreiten und zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstückes führen. Der von den Klägern und auch vom Erstgericht für die Berechtigung des Klagebegehrens mit ins Treffen geführte Umstand, dass von Bäumen der Beklagten durch wegbrechende Äste Gefahr für die Kläger ausgehen kann, und die Feststellung, dass die meisten Pappeln auf dem Grundstück der Beklagten als Sicherheitsrisiko angesehen werden müssen, ist für den geltend gemachten Untersagungsanspruch nach § 364 Abs 3 ABGB ohne Bedeutung, weil nach dieser Gesetzesstelle nur gravierender Entzug von Licht und Luft verboten ist. Auf bundes- oder landesgesetzliche Regelungen, die iSd § 364 Abs 3 Satz 2 ABGB zu beachten wären, hat sich die Beklagte in erster Instanz nicht berufen. Die Beklagte hat in erster Instanz auch nicht behauptet, dass die Bäume und Sträucher auf ihrem Grundstück einen Wald iSd Forstgesetzes bildeten; vielmehr brachte sie in erster Instanz vor, die Bepflanzung sei nicht waldähnlich, sondern parkähnlich.

Der Verweis in § 364 Abs 3 Satz 1 ABGB auf das Maß des Abs 2 betrifft offenkundig die im § 364 Abs 2 ABGB angesprochene Ortsunüblichkeit. Die Anwendung des § 364 Abs 3 ABGB scheitert im vorliegenden Verfahren nicht daran, dass Pflanzungen vor Inkrafttreten der Bestimmung betroffen sind. Eine entsprechende Einschränkung sieht das Gesetz nicht vor. Durch den Umstand, dass der Beeinträchtigte die Einwirkung bereits über einen längeren Zeitraum unbeanstandet hingenommen hat, kann eine negative Immission - entgegen der Meinung der Revisionswerberin - noch nicht ortsüblich geworden sein, weil der Beeinträchtigte vor dem 1. 7. 2004 den Entzug von Licht und Luft durch Bäume und andere Pflanzen nicht abwehren konnte.

Es kommt nicht auf den Bewuchs an, sondern nur auf die Ortsüblichkeit der Immission. Es ist daher maßgeblich, ob das Maß der Beschattung der Grundstücke der Kläger durch Bäume (Sträucher) auf dem Grundstück der Beklagten ortsüblich ist. Die in § 364 Abs 2 ABGB genannten Immissionen können vom Nachbarn bereits dann untersagt werden, wenn sie die ortsübliche Benutzung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen. Nach § 364 Abs 3 ABGB genügt eine bloß wesentliche Beeinträchtigung nicht; vielmehr muss die Beeinträchtigung der Benutzung "unzumutbar" sein. Wann eine Beeinträchtigung schon wesentlich, aber noch nicht unzumutbar ist, kann nicht allgemein gültig beantwortet werden. Vielmehr wird die Beurteilung von der konkreten Interessenabwägung im Einzelfall abhängen. Diese - ebenso wie nach § 364 Abs 2 ABGB zur beurteilenden positiven Immissionen - gebotene Interessenabwägung im Einzelfall hat nach einem objektiven Beurteilungsmaßstab zu erfolgen. Es kommt daher nicht auf die besondere Empfindlichkeit der konkret betroffenen Kläger, sondern auf den Beurteilungsmaßstab eines vernünftigen "Durchschnittsmenschen" an.

Für die Beurteilung, ob eine negative Immission "unzumutbar" ist, sind, wie in der Entscheidung des OGH 8 Ob 99/06a mwN ausgesprochen, folgende Kriterien wesentlich: Je näher die Beeinträchtigung an der Grenze der Ortsüblichkeit liegt, desto weniger wird ihre Unzumutbarkeit anzunehmen sein. Es sind das Ausmaß und die Lage der durch Entzug von Lichteinfall beeinträchtigten Fläche zu berücksichtigen. Es wird zu fragen sein, welche konkrete Nutzungsmöglichkeit für den Kläger eingeschränkt oder unmöglich gemacht wird. Ist nur eine verhältnismäßig geringfügige Fläche der Nachbarliegenschaft überhaupt beeinträchtigt, wird diese Beeinträchtigung im Regelfall unabhängig von ihrer Dauer nicht unzumutbar sein. Je größer jedoch die vom Entzug des Lichteinfalls beeinträchtigte Fläche im Verhältnis zur Gesamtfläche ist, umso eher wird das Kriterium der Unzumutbarkeit auch dann erfüllt sein, wenn zeitlich nicht von einem dauernden gänzlichen Entzug des Lichteinfalles auszugehen ist. Unzumutbarkeit ist im Einzelfall umso eher verwirklicht, als zeitlich und räumlich überwiegend (über 50 %) kein (Sonnen-, Tages-)Licht in Wohnräumen und/oder im Garten einfallen kann. Bei der Unzumutbarkeitsprüfung ist auch zu berücksichtigen, ob die Bäume und anderen Pflanzen, die das Licht entziehen, zu einem Zeitpunkt gepflanzt wurden, zu dem ein Inkrafttreten einer Regelung, wie sie § 364 Abs 3 ABGB trifft, noch nicht absehbar war. Was insbesondere die Beeinträchtigung der Nutzung von Wohn- oder Arbeitsräumlichkeiten durch den Schattenwurf von Bäumen auf dem Nachbargrund anlangt, ist auch in Rechnung zu stellen, ob und in welchem Maß bei Bedachtnahme auf den (damals) bestehenden Zustand des Grundstücks der Beklagten bei der Errichtung dieser Gebäude Beeinträchtigungen vermieden werden konnten.

Obgleich vom Gesetzgeber selbst mehrfach als "Unterlassungsanspruch" bezeichnet, ist der nachbarrechtliche Untersagungsanspruch dadurch gekennzeichnet, dass der Verpflichtete die Störungsquelle auf eigene Kosten beseitigen muss, wobei es seinem Belieben überlassen ist, wie er dabei vorgeht. Ein Urteilsbegehren nach § 364 Abs 3 ABGB setzt vor dem Hintergrund der Bestimmungen des § 226 Abs 1 ZPO und des § 7 Abs 1 EO nicht jedenfalls voraus, dass in ihm die angestrebte Untersagung des Entzuges von Licht oder Luft durch ein bestimmtes, in der Natur jederzeit nachvollziehbares Maß bezeichnet wird. Mangelt es an einer evidenten Überschreitung der ortsüblichen Immissionsintensität, so soll das Gericht im Urteilsspruch erforderlichenfalls von Amts wegen den Umfang eines nicht mehr hinzunehmenden Entzuges von Licht oder Luft als Ergebnis seiner Interessenabwägung innerhalb der Grenzen des Begehrens näher determinieren.