OGH: Zum Mitverschulden iSd § 1304 ABGB (hier: Aussteigen während kurzem Anhalten des Kfz)
Maßgeblich ist, dass die Klägerin und ihr Ehemann lediglich vereinbarten, dass er sie „noch ein Stück näher“ bringen werde, ohne aber einen genauen Ausstiegsort festzulegen; berücksichtigt man vor diesem Hintergrund die der Klägerin bekannte Verkehrslage sowie die nach dem Einbiegevorgang im Zug des Zufahrens in Richtung Fahrbahnrand (erst) erreichte Halteposition des Fahrzeugs teils auf dem Fahrradstreifen und teils auf der Fahrbahn lag sowohl für die Klägerin als auch ihren Ehemann eine gleichermaßen unklare Situation betreffend das weitere Verhalten des jeweils anderen vor, der beide leicht durch wechselseitige Kontaktaufnahme vor der Weiterfahrt bzw vor dem Aussteigen begegnen hätten können
§ 1304 ABGB
GZ 2 Ob 204/24z, 12.12.2024
OGH: Das – im Revisionsverfahren allein strittige – Mitverschulden iSd § 1304 ABGB setzt kein Verschulden im technischen Sinne voraus. Auch Rechtswidrigkeit des Verhaltens ist nicht erforderlich. Es genügt vielmehr eine Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern, worunter auch die Gesundheit fällt. Mitverschulden kann auch in vorwerfbarer Untätigkeit liegen. Voraussetzung ist, dass dem Geschädigten sein Verhalten, auch entsprechend seinem Wissensstand, subjektiv vorwerfbar und es für die Entwicklung des Schadens kausal ist.
Das Ausmaß eines (allfälligen) Mitverschuldens des Geschädigten kann – abgesehen von Fällen grober Fehlbeurteilung – wegen seiner Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden.
Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin treffe ein Mitverschulden im Ausmaß von 50 % ist unabhängig davon, ob der Fahrradstreifen im Zuge des Abbiegemanövers zwangsläufig überfahren werden musste und die Stillstandsposition – abgesehen von der Verkehrslage – auch darauf zurückzuführen war, nicht korrekturbedürftig. Maßgeblich ist nämlich, dass die Klägerin und ihr Ehemann lediglich vereinbarten, dass er sie „noch ein Stück näher“ bringen werde, ohne aber einen genauen Ausstiegsort festzulegen. Berücksichtigt man vor diesem Hintergrund die der Klägerin bekannte Verkehrslage sowie die nach dem Einbiegevorgang im Zug des Zufahrens in Richtung Fahrbahnrand (erst) erreichte Halteposition des Fahrzeugs teils auf dem Fahrradstreifen und teils auf der Fahrbahn lag sowohl für die Klägerin als auch ihren Ehemann eine gleichermaßen unklare Situation betreffend das weitere Verhalten des jeweils anderen vor, der beide leicht durch wechselseitige Kontaktaufnahme vor der Weiterfahrt bzw vor dem Aussteigen begegnen hätten können.
Soweit die Revision argumentiert, die Klägerin habe keine Wahrnehmungen zu den vorderen Fahrzeugen gehabt, entfernt sie sich ihrerseits von den getroffenen, insoweit vom Berufungsgericht übernommen Feststellungen. Auch der Hinweis darauf, dass die Klägerin bei früheren Fahrten ohne weitere Kontaktaufnahme ausgestiegen sei, ist schon deshalb verfehlt, weil das Berufungsgericht die von der Revision aufgegriffene Feststellung nicht übernommen hat. Weshalb diese entscheidungswesentlich sein soll, sodass deren Fehlen einen sekundären Feststellungsmangel begründen würde, ist nicht ersichtlich, weil sich das kommunikationslose Aussteigen auf Situationen bezog, bei denen – anders als bei der hier zu beurteilenden Fahrt – ein konkreter Ausstiegsort vereinbart war.