VwGH: § 33 VwGVG – Antrag auf Wiedereinsetzung; zum Verschulden des Parteienvertreters
Auch ein erst am letzten Tag (hier) der Beschwerdefrist eingetretenes unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis kann das Recht auf Wiedereinsetzung begründen, weil der Partei die Rechtsmittelfrist uneingeschränkt bis zum letzten Augenblick zur Verfügung steht; eine krankheitsbedingte Säumnis erfüllt die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann, wenn die Krankheit zu einer Dispositionsunfähigkeit des Betroffenen geführt hat oder die Dispositionsfähigkeit so stark beeinträchtigt hat, dass das Unterlassen der fristwahrenden Handlung als auf einem Versehen bloß minderen Grades beruhend zu beurteilen ist
§ 33 VwGVG, § 71 AVG
GZ Ra 2024/07/0186, 31.10.2024
VwGH: Gem § 33 Abs 1 VwGVG ist, wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach der stRsp des VwGH trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen.
Zutreffend hat das VwG angemerkt, dass auch ein erst am letzten Tag (hier) der Beschwerdefrist eingetretenes unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis das Recht auf Wiedereinsetzung begründen kann, weil der Partei die Rechtsmittelfrist uneingeschränkt bis zum letzten Augenblick zur Verfügung steht.
Ebenso im Einklang mit der hg Jud hat das VwG aber auch darauf verwiesen, dass der Kanzleibetrieb so zu organisieren ist, dass die fristgerechte Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sichergestellt wird.
Nach der hg Rsp erfüllt eine krankheitsbedingte Säumnis die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann, wenn die Krankheit zu einer Dispositionsunfähigkeit des Betroffenen geführt hat oder die Dispositionsfähigkeit so stark beeinträchtigt hat, dass das Unterlassen der fristwahrenden Handlung als auf einem Versehen bloß minderen Grades beruhend zu beurteilen ist. Ein Wiedereinsetzungsgrund liegt nur vor, wenn die Partei auch daran gehindert war, der Fristversäumung durch andere geeignete Dispositionen entgegenzuwirken. Der Wiedereinsetzungsgrund ist im Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft zu machen bzw sind bereits im Antrag taugliche Bescheinigungsmittel beizubringen.
Die Beurteilung, ob ein iSd § 33 Abs 1 VwGVG unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ein grobes Verschulden zur Versäumnis geführt hat, unterliegt - als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Abwägung - grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des VwG. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre.
Eine derart grobe Fehlbeurteilung ist dem VwG nicht vorzuwerfen.
Insbesondere hat das VwG - auch im Lichte des Vorbringens des Revisionswerbers - in nicht unvertretbarer Weise dargelegt, dass von der am 6. Dezember 2023 erlittenen Verletzung des Fußes des Rechtsvertreters nicht auf eine Dispositionsunfähigkeit des Betroffenen geschlossen werden könne, die etwa die Beauftragung einer Vertretung am 7. Dezember 2023 zur rechtzeitigen Einbringung einer Beschwerde verunmöglicht hätte. Zwar hat der VwGH im Beschluss Ra 2023/02/0230 auch darauf Bedacht genommen, dass der dort erkrankte Rechtsanwalt einen Kanzleipartner hatte, dies betraf jedoch keinen tragenden, sondern lediglich einen ergänzenden Aspekt der Erwägungen.
Bestand aber vorliegend keine Dispositionsunfähigkeit bzw - wovon das VwG im Ergebnis ausging - auch keine so starke Beeinträchtigung der Dispositionsfähigkeit des Rechtsvertreters, aufgrund derer das Unterlassen der rechtzeitigen Beschwerdeeinbringung als Versehen bloß minderen Grades zu beurteilen wäre, hat der Revisionswerber nicht glaubhaft gemacht, dass die Beauftragung einer Vertretung sowie die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde in einer Rechtssache wie der gegenständlichen am letzten Tag der Beschwerdefrist nicht möglich gewesen wäre.
Der diesbezüglich erhobene Vorwurf einer mangelhaften Beweiswürdigung durch das VwG wegen unterbliebener Feststellungen, „dass für den 07.12.2023 (...) kein anderer Rechtsanwalt gefunden werden konnte“, vermag die Zulässigkeit der Revision bereits deswegen nicht zu begründen, weil der Revisionswerber weder in seinem Wiedereinsetzungsantrag noch in der vorliegenden Zulässigkeitsbegründung der Revision konkret vorbrachte, dass er oder sein Rechtsvertreter am genannten Tag versucht habe, eine anwaltliche Vertretung zu finden und diese zu beauftragen.
Der vom Revisionswerber geltend gemachte Umstand, dass sein Rechtsvertreter als Einzelanwalt in einer Bürogemeinschaft tätig sei und daher nicht auf die Kanzleiinfrastruktur einer Kanzleigemeinschaft zurückgreifen könne, wurde im angefochtenen Erkenntnis ausreichend berücksichtigt. Das Zulässigkeitsvorbringen enthält jedoch keine Argumente und es ist auch kein Grund dafür ersichtlich, dass die Herausforderungen für einen Einzelanwalt in einer Bürogemeinschaft in einer Situation wie der in Rede stehenden am 6. bzw 7. Dezember 2023 als schwerwiegender zu bewerten wären als für einen von Vornherein allein eine Kanzlei führenden Rechtsanwalt.
In diesem Zusammenhang tritt die Zulässigkeitsbegründung der Revision den - im Rahmen einer Alternativbegründung getroffenen - verwaltungsgerichtlichen Erwägungen, wonach der Rechtsvertreter des Revisionswerbers trotz der bereits beschriebenen, einen Rechtsanwalt hinsichtlich der Organisation eines Kanzleibetriebes zur fristgerechten Setzung von Vertretungshandlungen grundsätzlich treffenden Obliegenheiten, bereits seit Juli 2023 über kein Sekretariat verfügt habe und ihm auch dieser Umstand (gemeinsam mit der Nichtorganisation einer Vertretung) als Außerachtlassung der zumutbaren Sorgfalt anzulasten sei, argumentativ nicht entgegen.
Im Übrigen setzt sich die Zulässigkeitsbegründung der Revision ferner mit der Argumentation des VwG, es wäre dem Rechtsvertreter trotz der am 6. Dezember 2023 erlittenen Fußverletzung - abgesehen von der Beauftragung einer Vertretung und der Benachrichtigung des Revisionswerbers - auch möglich gewesen, die Beschwerde rechtzeitig per E-Mail einzubringen, nicht auseinander. Insbesondere wird nicht vorgebracht, dass die dafür notwendigen technischen Voraussetzungen am Wohnort des Rechtsvertreters (somit auch ohne Benützung des in der Kanzlei bestehenden EDV-Systems) nicht vorhanden gewesen wären oder keine Möglichkeit bestanden hätte, dass eine dritte Person die betreffenden Aktenunterlagen von der Kanzlei des Rechtsvertreters hole und sie dem Rechtsvertreter übermittle.