OGH: Zum Schutzzweck von Verträgen („Erstellung des Befundes für einen Heizkessel“)
Eine durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließende Vertragslücke kann sich auch aus erst nach Vertragsabschluss eintretenden - nach dem Parteiwillen beachtlichen - Entwicklungen ergeben; eine Änderung der bei Vertragsabschluss maßgeblichen Umstände kann auch aus einer nachträglichen Änderung der Rechtslage resultieren
§ 914 ABGB, §§ 1295 ff ABGB
GZ 1 Ob 103/24i, 19.11.2024
OGH: Wer eine Vertragspflicht verletzt, haftet seinem Vertragspartner für daraus entstehende Schäden, soweit die geschädigten Interessen in der Richtung der übernommenen Pflichten liegen. Es müssen gerade jene Interessen verletzt worden sein, deren Schutz die übernommene Vertragspflicht (zumindest mit-) bezweckte. Der eingetretene Schaden muss also vom Schutzzweck der verletzten Vertragspflicht umfasst sein. Die konkret geschützten Interessen sind aus Sinn und Zweck des Vertrags im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dabei ist auch zu beachten, mit welchen Schäden aufgrund der Verletzung bestimmter Vertragspflichten zu rechnen ist. Insoweit kommt es auch auf die objektive Erkennbarkeit des Risikos für den Schuldner an. Welchen Inhalt - und damit Schutzzweck - ein Vertrag (hier zur Erstellung des Befundes für den ersten Heizkessel im Jahr 2007) hat, hängt von der konkreten Vereinbarung ab. Hier enthielt der Vertrag über die Erstellung des ersten Eignungsbefundes keine Regelung zur Frage, ob sich dieser Befund nur auf den individuellen Heizkessel oder generell auf Heizkessel solcher (Bau-)Art beziehen sollte.
Diese von den Vertragsparteien somit nicht bedachte Frage bzw ob die Pflicht des Beklagten zur Erstellung eines richtigen Befundes auch vor Gefahren schützen sollte, die sich aus einem Austausch des konkret begutachteten Kessels gegen einen baugleichen anderen Kessel ergäben, ist daher im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung nach dem Verständnis redlicher und verständlicher Parteien unter Berücksichtigung des von den Parteien verfolgten Zwecks zu beantworten. Für die Beurteilung des Schutzzwecks des Vertrags über die Erstellung des ersten Eignungsbefundes kommt es im Rahmen ergänzender Vertragsauslegung auch darauf an, ob sich die Rechtslage zum fehlenden Erfordernis einer (gesonderten) Befunderstellung für einen Heizkesseltausch zwischen dem Abschluss dieses Vertrags und dem tatsächlich erfolgten Kesseltausch geändert hat. Zwar bestimmt sich der Vertragsinhalt und damit auch der Zweck eines Vertrags nach den maßgeblichen Umständen bei Vertragsschluss. Ändern sich diese, muss aber im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung gefragt werden, welche Vereinbarung redliche und vernünftige Parteien für diesen (von ihnen nicht bedachten) Fall unter Berücksichtigung des mit dem Vertrag verfolgten Zwecks bei Kenntnis der geänderten Umstände getroffen hätten. Eine durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließende Vertragslücke kann sich auch aus erst nach Vertragsabschluss eintretenden - nach dem Parteiwillen beachtlichen - Entwicklungen ergeben, wobei eine Änderung solcher bei Vertragsabschluss maßgeblicher Umstände auch aus einer nachträglichen Änderung der Rechtslage resultieren kann.