01.10.2024 Verfahrensrecht

OGH: Zur internationalen Zuständigkeit für Ansprüche auf das Pflegevermächtnis

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH: Ist Art 4 EuErbVO dahin auszulegen, dass eine „Erbsache“ vorliegt, wenn ein Anspruch auf Pflegevermächtnis nach § 677 ABGB geltend gemacht wird?


Schlagworte: Europäisches Erbrecht, internationale Zuständigkeit, Erbsache, anzuwendendes Recht, Pflegevermächtnis, Abgeltung von Pflegeleistungen
Gesetze:

 

Art 4 EuErbVO, Art 23 EuErbVO, § 677 ABGB

 

GZ 2 Ob 132/24m, 10.09.2024

 

OGH: Das Pflegevermächtnis (§§ 677 f ABGB) stellt nach den Mat ein unabhängig von einer letztwilligen Anordnung des gepflegten Erblassers entstehendes (gesetzliches) Vermächtnis dar. Es weist eine janusköpfige Rechtsnatur auf, weil es zwischen dem Vermächtnis - als das es der Gesetzgeber ausdrücklich eingeordnet hat - und dem Pflichtteilsrecht - weil es nur bei Vorliegen eines Enterbungsgrundes entzogen werden kann - angesiedelt ist. Da es der Abgeltung bestimmter Dienstleistungen gilt, weist es auch ein Naheverhältnis zu vertraglichen oder bereicherungsrechtlichen Ansprüchen auf. Das Pflegevermächtnis hat zumindest pflichtteilsähnlichen Charakter, weil es einem Bestandschutz unterliegt (Entziehung nur bei Vorliegen eines Enterbungsgrundes) und es neben dem Pflichtteil zustehen kann. Ein wirksamer (Voraus-)Verzicht auf das Pflegevermächtnis kommt jedenfalls nur bei Einhaltung der in § 551 ABGB normierten besonderen Formvorschriften in Betracht. Die letztlich vom Gesetzgeber gewählte Konstruktion des Pflegevermächtnisses und die gewählten Formulierungen führen damit im Ergebnis zu einer Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts bzw der Privatautonomie des Erblassers.

 

Nach Art 4 EuErbVO sind für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. In der Lit ist die Frage umstritten, ob vor diesem Hintergrund ein Anspruch auf Pflegevermächtnis in den Anwendungsbereich der EuErbVO fällt. Der OGH neigt eher zur Auffassung, dass der auf den Titel des Pflegevermächtnisses nach § 677 ABGB gestützte Anspruch des Klägers als „Erbsache“ iSd Art 4 EuErbVO zu qualifizieren ist. Ausschlaggebend dafür sind die erbrechtlichen Implikationen des Rechtsinstituts, insbesondere dessen Ausgestaltung als „Sonderpflichtteil“ und das vom EuGH bereits vertretene weite Begriffsverständnis der „Rechtsnachfolge von Todes wegen“. Allerdings könnte wegen der offenbaren Nähe zu einem bereicherungsrechtlichen Anspruch und dem Umstand, dass das Rechtsinstitut letztlich eine Abgeltung von zu Lebzeiten des Erblassers erbrachten Pflegeleistungen anstrebt, auch eine andere Auslegung vertreten werden. Dem EuGH wird daher folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist Art 4 EuErbVO dahin auszulegen, dass eine „Erbsache“ vorliegt, wenn ein Anspruch auf Pflegevermächtnis nach § 677 ABGB geltend gemacht wird?