10.09.2024 Zivilrecht

OGH: Testamentsauslegungsgrundsätze (iZm „Vorauslegat“)

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts liegt in der Verwendung des Wortes „Vorauslegat[s]“ ein ausreichender Anhaltspunkt im erklärten Willen für die festgestellte wahre Intention des Erblassers, der Klägerin Eigentum am Wohnungsinhalt als Legat vermachen zu wollen


Schlagworte: Erbrecht, letztwillige Verfügung, Auslegung, Vorauslegat
Gesetze:

 

§ 553 ABGB, § 745 ABGB

 

GZ 2 Ob 111/24y, 25.07.2024

 

Die Streitteile sind die aufgrund eines 2004 errichteten Testaments zu je einem Drittel rechtskräftig eingeantworteten Erben des 2018 verstorbenen Erblassers, der der klagenden Witwe – soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – als „Vorauslegat“ das lebenslängliche und unentgeltliche Recht vermachte, Inventar, Möbel und Hausrat (im Folgenden: Wohnungsinhalt) einer Mietwohnung in Wien zu benützen.

 

Dem Erblasser war es ein Anliegen, die Klägerin im Falle seines Todes bestmöglich abzusichern. Nach seiner Vorstellung sollte es ihr möglich sein, nach seinem Tod ihr bisheriges Leben in der gewohnten Weise weiterzuführen und über alle vorhandenen Fahrnisse möglichst frei verfügen zu können.

 

Durch das Vermächtnis wollte er ihr am Wohnungsinhalt jenes Recht einräumen, das einem Ehegatten nach dem Tod an den Fahrnissen in der gemeinsamen Ehewohnung als Vorauslegat iSd § 745 ABGB zukommt, ihr also das Eigentumsrecht an diesen Fahrnissen und nicht nur ein bloßes Nutzungsrecht einräumen. Ihm war nämlich bewusst, dass der Charakter der Wohnung als Ehewohnung aufgrund des Vorhandenseins weiterer Liegenschaften zweifelhaft sein könnte.

 

OGH: Die Auslegung einer letztwilligen Verfügung richtet sich gem § 553 ABGB in der hier anzuwendenden Fassung des ErbRÄG 2015 (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB) nach dem wahren Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Verfügung, der in ihrem Wortlaut zumindest angedeutet sein muss. Die Auslegung muss in der letztwilligen Verfügung irgendeinen, wenn auch noch so geringen Anhaltspunkt finden und darf nicht völlig dem unzweideutig ausgedrückten Willen zuwider laufen. Selbst eine noch so deutlich erwiesene Absicht des Testators ist unbeachtlich, wenn sie im letzten Willen keinen Ausdruck gefunden hat, weil sonst die Formvorschriften umgangen würden. Die Auslegung hat möglichst so zu erfolgen, dass der vom Erblasser beabsichtigte Erfolg eintritt.

 

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts liegt in der Verwendung des Wortes „Vorauslegat[s]“ tatsächlich ein ausreichender Anhaltspunkt im erklärten Willen für die festgestellte wahre Intention des Erblassers, der Klägerin Eigentum am Wohnungsinhalt als Legat vermachen zu wollen.

 

Das gesetzliche Vorausvermächtnis nach § 745 ABGB ordnet dem daraus Berechtigten nämlich das Eigentumsrecht an den zum ehelichen Haushalt gehörenden beweglichen Sachen und kein bloßes Nutzungsrecht zu. Bezogen auf die Ehewohnung hat der überlebende Ehegatte nach § 745 ABGB hingegen nur ein Recht auf unentgeltliche Weiterbenützung.

 

Der feststehende wahre Wille des Erblassers, der Klägerin Eigentum am Wohnungsinhalt vermachen zu wollen, ist daher aufgrund der Verwendung des Wortes „Vorauslegat[s]“ auch im erklärten letzten Willen ausreichend angedeutet, mag er es auch nicht als „gesetzliches“ Vorauslegat bezeichnet haben. Die Zuordnung des Eigentumsrechts zur Klägerin entspricht dem vom Erblasser angestrebten Erfolg. Dass der Begriff Vorausvermächtnis auch iZm der Frage der Anrechnung auf den Erbteil (§ 648 Abs 1 ABGB) Verwendung findet und vom Erblasser auch bei der unstrittigen Einräumung einer bloßen Dienstbarkeit an Liegenschaften im Vermächtnisweg verwendet wird, steht dem nicht entgegen, weil dennoch auch ein Anhaltspunkt für den feststehenden wahren Willen des Erblassers vorliegt.

 

Ein gesonderter Übertragungsakt ist aufgrund der – unstrittig – ohnehin stattfindenden alleinigen Benützung durch die Klägerin entbehrlich, sodass ihrem Hauptbegehren stattzugeben war.