13.08.2024 Zivilrecht

OGH: Zum notariellen Testament in Protokollform von Blinden

§ 590 ABGB, wonach der Verfasser vom Vorlesen des letzten Willens ausgeschlossen ist, ist kraft teleologischer Reduktion entgegen dem Verweis in § 70 NO bei Errichtung einer letztwilligen Verfügung in Form eines notariellen Protokolls durch einen Blinden nicht anzuwenden; ob der vorlesende Notar auch Verfasser der letztwilligen Verfügungen war, spielt daher für deren Formgültigkeit keine Rolle


Schlagworte: Erbrecht, letztwillige Verfügung, Testament, Protokollform, notarielles Protokoll, Verfasser, Notar, Testamentszeuge, Unterfertigung, Blinde, nicht lesen Können, Vorleser
Gesetze:

 

§ 590 ABGB, § 70 NO

 

GZ 2 Ob 81/24m, 28.05.2024

 

OGH: § 70 NO ordnet bei der Auf- und Entgegennahme letztwilliger Anordnungen die Beachtung der allgemeinen Vorschriften über die Amtsführung der Notare und die §§ 569, 581, 582 und 587 bis 591 ABGB sowie die in den §§ 72 und 73 NO gebotenen Förmlichkeiten an. Gem § 590 ABGB kann der Verfasser einer nicht vom letztwillig Verfügenden handschriftlich geschriebenen Erklärung zugleich Zeuge sein, ist aber, wenn der Verfügende nicht lesen kann, vom Vorlesen des letzten Willens ausgeschlossen.

 

Nach der Rechtslage vor dem ErbRÄG fand sich die § 590 ABGB entsprechende Anordnung in § 581 letzter S ABGB aF. Einen Verweis auch auf diese Bestimmung enthielt § 70 NO idF vor dem ErbRÄG 2015 nicht. Vielmehr wurde (nur) auf die Einhaltung des § 72 NO (iVm § 59 NO) verwiesen. Dieser Verweis findet sich auch in § 70 NO idFd ErbRÄG 2015. Gem § 59 NO iVm § 72 NO müssen bei Aufnahme eines Protokolls mit einem Blinden die Aktszeugen - auch wenn sie funktionell nicht als Inhaltszeugen fungieren - bei der Vorlesung des Protokolls seinem ganzen Inhalt nach sowie bei der Einwilligung und Unterzeichnung durch die Parteien anwesend sein. Dass dies geschehen ist, muss im Protokoll ausdrücklich angeführt werden. Das Protokoll ist unter Beachtung der Bestimmungen des § 68 NO aufzunehmen (§ 73 NO). Die Mat halten zu den Änderungen in § 70 NO fest, dass die Änderungen (nur) durch die ausdrückliche Regelung der notariellen Verfügung im ABGB und durch die Neuordnung im ABGB bedingt sind.

 

Auch wenn § 70 NO idFd ErbRÄG 2015 anders als § 67 NO für die letztwillige Verfügung in Notariatsaktsform auf bestimmte Paragraphen verweist und § 590 ABGB (anders als § 579 ABGB) im Gesetzgebungsverfahren nicht gestrichen wurde, ändert dies nichts daran, dass die historischen und teleologischen Erwägungen einer Anwendung des § 590 ABGB entgegenstehen.

 

§ 590 ABGB ist daher kraft teleologischer Reduktion entgegen dem Verweis in § 70 NO bei Errichtung einer letztwilligen Verfügung in Form eines notariellen Protokolls durch einen Blinden nicht anzuwenden. Ob der vorlesende Notar auch Verfasser der letztwilligen Verfügungen war, spielt für deren Formgültigkeit keine Rolle.