OGH: Zum Doppelbestrafungsverbot (KartG)
Die Feststellung nach § 28 KartG wegen wettbewerbswidriger Absprachen verstößt im Hinblick auf das wegen dieser Absprachen geführte - mit Diversion beendete - strafrechtliche Ermittlungsverfahren nicht gegen Art 4 7. ZP-EMRK
§§ 28 f KartG, § 168b StGB, Art 4 7. ZP-EMRK
GZ 16 Ok 5/23f, 17.05.2024
OGH: Das KartG enthält keine Regelung der Frage, ob die Teilnahme an einem Submissionskartell nur nach § 168b StGB zu bestrafen ist oder ob dafür auch nach § 29 KartG eine Geldbuße verhängt oder nach § 28 KartG eine Zuwiderhandlung gegen das Kartellverbot festgestellt werden kann.
Prozessuale Sperrwirkung kommt nur Entscheidungen zu, die in einem Strafverfahren iSd Art 4 7. ZP-EMRK ergingen. Sie wirkt auch nur für solche Strafverfahren. Der Begriff „Strafverfahren“ ist dabei analog zu Art 6 und 7 EMRK autonom auszulegen. Der EGMR wendet dafür die sog „Engel-Kriterien“ an und stellt auf die Einordnung der Zuwiderhandlung im nationalen Recht, auf Art und Schwere der angedrohten Sanktion sowie auf die Natur des Vergehens ab. Dass die Einstellung eines Strafverfahrens durch den Sta weder einer Verurteilung noch einem Freispruch iSd Art 4 7. ZP-EMRK entspricht, legte der EGMR bereits mehrfach dar. Er ging allerdings davon aus, dass eine Verurteilung oder ein Freispruch nicht durch ein Gericht erfolgen müsse, sondern es darauf ankomme, ob es sich um die Entscheidung einer Behörde mit judiziellen Aufgaben im Rahmen der Strafrechtspflege gehandelt habe, der nach nationalem Recht die Befugnis zukomme, das einer Person vorgeworfene rechtswidrige Verhalten festzustellen und gegebenenfalls zu bestrafen.
Diversion ist die Beendigung des Strafverfahrens ohne Schuldspruch und ohne förmliche Sanktionierung des Beschuldigten. Eine diversionelle Erledigung durch die Sta setzt nach § 198 Abs 1 StPO aber voraus, dass aufgrund eines hinreichend geklärten Sachverhalts feststeht, dass eine Einstellung des Verfahrens nach §§ 190 bis 192 StPO nicht in Betracht kommt.
Entsprechend der Auslegung des Art 4 7. ZP-EMRK durch den EGMR spricht vieles dafür, der diversionellen Erledigung des gegen die Antragsgegnerin geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens keine Sperrwirkung nach Art 4 7. ZP-EMRK zuzugestehen, va, dass die Sta keine allgemeine Sanktionsbefugnis hat, die diversionelle Erledigung nach ihrer Ausgestaltung durch die StPO keine förmliche Sanktionierung darstellt, die Erbringung diversioneller Leistungen auf Freiwilligkeit beruht und der Verfahrensbeendigung durch Diversion keine Bindungswirkung für nachfolgende Zivilprozesse zukommt. Die Feststellung nach § 28 KartG wegen wettbewerbswidriger Absprachen verstößt demnach im Hinblick auf das wegen dieser Absprachen geführte - mit Diversion beendete - strafrechtliche Ermittlungsverfahren nicht gegen Art 4 7. ZP-EMRK.