OGH: Zur Ersitzung von Wegerechten durch eine Gemeinde
Was letztlich tatsächlich bequem, nützlich oder notwendig, oder aber nutzlos ist, ist eine Tatfrage; soweit es sich um illegale „Promillefahrten“ gehandelt hat, kann daran kein Interesse der Allgemeinheit bestehen
§ 480 ABGB, § 472 ff ABGB, § 1460 ABGB
GZ 8 Ob 64/23d, 22.05.2024
OGH: Für die Ersitzung von Wegerechten durch eine Gemeinde genügt die Benützung durch Gemeindeangehörige bzw ein Touristenpublikum, wobei es erforderlich ist, aber auch ausreicht, dass die Benützung so erfolgt, wie wenn es sich um einen öffentlichen Weg handeln würde. Neben den anderen Voraussetzungen ist der Gemeingebrauch während der Ersitzungszeit sowie die Notwendigkeit des Wegs erforderlich. Eine besondere Absicht, das Wegerecht für die Gemeinde zu ersitzen, ist nicht erforderlich. Es genügt, dass jedermann den Weg als öffentlichen Weg ansieht und behandelt; der Besitzwille der Gemeinde wird vermutet.
Zwar mag die Frage, ob bei der Ersitzung eines Wegerechts zugunsten der Allgemeinheit überhaupt ein „Notwendigkeitserfordernis“ besteht, in der Lit umstritten und in der Rsp zuletzt nicht im Vordergrund gestanden sein; jedoch ist die Frage, was letztlich tatsächlich bequem, nützlich oder notwendig, oder aber nutzlos ist, auch eine Tatfrage. Es ist auch für die Beantwortung der Frage des gleichwertigen Ersatzes im Einzelfall nicht nur auf die Länge, sondern auch auf den Zustand der zur Verfügung stehenden Wege und auf sonstige Umstände abzustellen.
Die Zwecke, aus denen der Weg in der Vergangenheit - ungeachtet der gegenüber der zur Verfügung stehenden Landesstraße erschwerten Bedingungen - fallweise und nicht regelmäßig dennoch mit mehrspurigen Fahrzeugen befahren wurde, stehen hier großteils nicht fest. Soweit es sich um illegale „Promillefahrten“ gehandelt hat, kann daran kein Interesse der Allgemeinheit bestehen. Es geht auch aus dem Sachverhalt nicht hervor, dass die Lenker anderer Fahrzeuge sowie Zusteller- und Firmenfahrzeuge den Weg iSe Allgemeingebrauchs frequentiert haben, nämlich regelmäßig zu anderen Zwecken als zB zum Besuch oder zur Versorgung von Anrainern.
Das Argument des Berufungsgerichts, dass mit auf höhere Geschwindigkeit ausgelegten Fahrzeugen der Komfort einer zweispurigen, asphaltierten Landesstraße einem einspurigen, beschwerlichen Schotterweg vorgezogen wird, auch wenn die Verbindung über diesen rund 1,5 km kürzer sein mag, trifft aber auf einspurige Kraftfahrzeuge, insbesondere auf Mopeds, nicht in gleichem Maß zu. Nach dem festgestellten Sachverhalt haben Moped- und Motorradfahrer den Weg im Ersitzungszeitraum tatsächlich regelmäßig wie einen öffentlichen Weg frequentiert, und zwar als Abkürzung in das benachbarte Dorf. In einem solchen Fall wird auch ohne individuelle Absicht des Benützers, ein Wegerecht für die Gemeinde zu ersitzen, ein Besitzwille der Gemeinde vermutet.