OGH: § 180 ABGB – Änderung der Obsorge
Abgesehen davon, dass neue Behauptungen im Rechtsmittel diese noch nicht zur aktenkundigen Tatsachengrundlage machen, bietet der Umstand, dass das Kind auf die begleiteten Besuchskontakte durchaus positiv reagiert, keine Anhaltspunkte für eine zwischenzeitlich verbesserte Kommunikationsbasis zwischen den Eltern und eine nunmehr eingetretene Kooperationsfähigkeit
§ 180 ABGB, § 138 ABGB
GZ 3 Ob 43/24f, 03.04.2024
OGH: Wenn – wie hier – nach Auflösung der Ehe oder der häuslichen Gemeinschaft der Eltern binnen angemessener Frist eine Vereinbarung nach § 179 ABGB über die Obsorge nicht zustande kommt, oder wenn ein Elternteil die Übertragung der alleinigen Obsorge oder seine Beteiligung an der Obsorge beantragt, hat das Gericht eine Obsorgeregelung zu treffen. Dabei ist gem § 180 Abs 1 ABGB eine vorläufige Regelung der elterlichen Verantwortung anzuordnen, sofern dies dem Wohl des Kindes entspricht. Entgegen der Ansicht des Vaters ist eine solche Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung nicht zwingende Voraussetzung für die endgültige Entscheidung über die Obsorge.
Die Entscheidung nach § 180 Abs 2 ABGB, welchem Elternteil die Obsorge endgültig zu übertragen ist, hat sich allein am Kindeswohl zu orientieren, und zwar ohne dass es – anders als in den hier nicht relevanten Fällen der §§ 181 f ABGB – einer Kindeswohlgefährdung bedarf, um die alleinige Obsorge anzuordnen. Für die Entscheidung, ob die Alleinobsorge eines Elternteils oder eine Obsorge beider Eltern anzuordnen ist, kommt es daher nur darauf an, welche Regelung dem Wohl des Kindes besser entspricht. Dabei entspricht es der Rsp, dass eine sinnvolle Ausübung der Obsorge durch beide Eltern ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider voraussetzt, um gemeinsame Entscheidungen im Interesse des Kindeswohls treffen zu können.
Die Frage, ob die Obsorge beider Eltern dem Kindeswohl entspricht, oder welchem Elternteil die Obsorge übertragen werden soll, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Das Rekursgericht ist von diesen Rechtsgrundsätzen nicht abgewichen. Ausgehend von den bindenden Feststellungen hat es mit der Beurteilung, dass mangels Fähigkeit der Eltern, in den das Kind betreffenden Angelegenheiten – wie Wohnort, Kindergarten oder gesundheitlichen Fragen – gemeinsame Entscheidungen zu treffen, eine beiderseitige Obsorge nicht in Frage komme, den ihn zukommenden Entscheidungsspielraum nicht überschritten. Der Vater ignoriert nicht nur den rechtskräftigen Beschluss, mit dem die Obsorge vorläufig auf die Mutter übertragen wurde, sondern auch das bis Oktober 2023 bestehende Annäherungsverbot und das rechtskräftig angeordnete begleitete Besuchsrecht.
Soweit sich der Vater im Hinblick auf die von ihm mit dem Rechtsmittel vorgelegten Beilagen auf geänderte Umstände beruft, ist er auf das grundsätzlich auch im Außerstreitverfahren geltende Neuerungsverbot zu verweisen. Im Pflegschaftsverfahren sind nach der Beschlussfassung der Vorinstanzen eingetretene aktenkundige und unstrittige Entwicklungen im Interesse des Kindeswohls ausnahmsweise nur dann zu berücksichtigen, wenn die bisherige Tatsachengrundlage dadurch wesentlich verändert wird.
Abgesehen davon, dass neue Behauptungen im Rechtsmittel diese noch nicht zur aktenkundigen Tatsachengrundlage machen, bietet der Umstand, dass das Kind auf die begleiteten Besuchskontakte durchaus positiv reagiert, keine Anhaltspunkte für eine zwischenzeitlich verbesserte Kommunikationsbasis zwischen den Eltern und eine nunmehr eingetretene Kooperationsfähigkeit. Die übrigen vom Vater vorgelegten Urkunden betreffen das Scheidungsverfahren und das vorliegende Obsorgeverfahren und lagen bereits vor der Beschlussfassung des Erstgerichts vor.