16.04.2024 Zivilrecht

OGH: Zum Ausspruch des überwiegenden Verschuldens nach § 61 Abs 3 EheG

Die Frage, ob die Ehe unheilbar zerrüttet ist, ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen und eine auf der Grundlage der Feststellungen zu beurteilende Rechtsfrage; die Frage, ob ein Ehegatte die Ehe subjektiv als unheilbar zerrüttet ansieht, ist eine irrevisible Tatfrage


Schlagworte: Eherecht, Ehescheidung, Ausspruch, alleiniges Verschulden, überwiegendes Verschulden, Verschuldensabwägung, unheilbare Zerrüttung der Ehe, objektiver Maßstab, Zeitpunkt
Gesetze:

 

§ 61 EheG

 

GZ 5 Ob 229/23x, 12.03.2024

 

OGH: Beim Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG ist allein entscheidend, ob dem Kläger eine Schuld an der Zerrüttung der Ehe anzulasten ist und ob, falls beiden Eheleuten ein Verschulden an der Zerrüttung vorzuwerfen ist, seine Schuld deutlich überwiegt. Der Ausspruch, dass die Schuld eines Ehegatten überwiegt, ist nur dann zulässig, wenn dessen Verschulden erheblich schwerer wiegt als dasjenige des anderen Teils. Voraussetzung ist, dass der graduelle Unterschied der jeweiligen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt. Da das überwiegende Verschulden insbesondere bei den Scheidungsfolgen dem alleinigen Verschulden gleichgestellt wird, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Ein überwiegendes Verschulden ist erst dann anzunehmen, wenn das Verhalten der Gegenseite wertungsmäßig fast völlig in den Hintergrund tritt.

 

Bei der Beurteilung des überwiegenden Verschuldens ist das Gesamtverhalten der Eheleute während der Ehedauer zu berücksichtigen; maßgebend ist, wer den entscheidenden Beitrag für die unheilbare Zerrüttung der Ehe geleistet hat. Im Rahmen der anzustellenden Gesamtabwägung kommt es auch nicht allein auf die Schwere der Verfehlung an sich, sondern auch darauf an, in welchem Umfang die Verfehlung zu der schließlich eingetretenen Zerrüttung der Ehe beigetragen hat. Daher führt der Umstand, dass das schuldhafte Verhalten eines Teils dasjenige des anderen Teils hervorgerufen hat, idR zu der Beurteilung, dass dem Beitrag des ersteren zur Zerrüttung der Ehe größeres Gewicht beizumessen ist.

 

Eheverfehlungen, die nach der unheilbaren Zerrüttung der Ehe gesetzt werden, haben bei der Verschuldensabwägung kein entscheidendes Gewicht. Nach Eintreten der (noch nicht gänzlichen und unheilbaren) Zerrüttung gesetzte Eheverfehlungen sind zwar nicht schlechthin unbeachtlich, weil auch eine schon bestehende Zerrüttung noch vertieft werden kann. Ist die Ehe jedoch schon so tief zerrüttet, dass eine weitere Zerrüttung nicht eintreten konnte, so ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer neuen Verfehlung und der Zerrüttung im Allgemeinen nicht vorhanden. Die unheilbare Ehezerrüttung ist nach stRsp dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlagen der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört haben. Die Frage, ob die Ehe unheilbar zerrüttet ist, ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen und eine auf der Grundlage der Feststellungen zu beurteilende Rechtsfrage, die Frage, ob ein Ehegatte die Ehe subjektiv als unheilbar zerrüttet ansieht, eine irrevisible Tatfrage.