19.03.2024 Verfahrensrecht

OGH: Zum Antrag auf Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung

Ein rechtliches Interesse an der Einleitung eines Verfahrens zur inhaltlichen Prüfung von Versagungsgründen für die Vollstreckung einer Entscheidung noch vor deren wirksamer Zustellung an den Verpflichteten ist zu verneinen


Schlagworte: Europäisches Verfahrensrecht, ausländische Entscheidung, Anerkennung, Vollstreckung, Antrag, Vollstreckungsversagungsverfahren, rechtliches Interesse
Gesetze:

 

Art 36 EuGVVO, Art 39 EuGVVO, Art 44 ff EuGVVO

 

GZ 3 Ob 158/23s, 13.11.2023

 

OGH: Art 45 EuGVVO steht im systematischen Zusammenhang mit der Grundregel, dass Entscheidungen eines Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar (ipso iure) anzuerkennen und zu vollstrecken sind, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens oder einer Entscheidung bedarf (Art 36 Abs 1 und Art 39 EuGVVO). Will der Schuldner diese Wirkung verhindern, ist er grundsätzlich gehalten, einen Antrag auf Versagung der Anerkennung (Art 45 EuGVVO) oder Vollstreckung (Art 46 EuGVVO) zu stellen. Es bedarf eines Antrags des Schuldners; dieser hat es in der Hand, ob die unionsrechtlichen Vollstreckungsversagungsgründe geprüft werden oder nicht.

 

Das Vollstreckungsversagungsverfahren hat keinen automatischen Suspensiveffekt und stoppt die Vollstreckung nicht automatisch. Dies ergibt sich aus Art 44 EuGVVO über mögliche Wirkungen des Vollstreckungsversagungsverfahrens für ein bereits laufendes Vollstreckungsverfahren. Wenn allerdings die Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat ausgesetzt ist, so ist gem Art 44 Abs 2 EuGVVO auf Antrag des Schuldners auch das Vollstreckungsverfahren im ersuchten Mitgliedstaat auszusetzen. Für das Verfahren zur Versagung der (Anerkennung oder) Vollstreckung ist das Recht des ersuchten Mitgliedstaats maßgebend (Art 47 Abs 2 EuGVVO). Die österreichische EO sieht einen präventiven Versagungsantrag vor Einleitung eines Exekutionsverfahrens zwar nicht ausdrücklich vor, schließt einen solchen aber auch nicht aus.

 

Das Vollstreckungsversagungsverfahren setzt ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers voraus. Umstritten ist, ob dieses bereits aus der bloßen Möglichkeit der Zwangsvollstreckung folgt, also schon ab dem Zeitpunkt der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat besteht, oder ob die Zwangsvollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar bevorstehen muss. Im vorliegenden Fall hat der Erstantragsteller nach seinem eigenen Vorbringen die Entscheidung, auf die sich sein Antrage bezieht, aber noch gar nicht wirksam zugestellt erhalten. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine präventive inhaltliche Prüfung der vom Antragsteller geltend gemachten Versagungsgründe für eine Vollstreckung lässt sich damit dem Vorbringen nicht entnehmen: Nach österreichischem Verfahrensrecht setzt eine Exekutionsführung die wirksame Zustellung der Entscheidung (sowie deren Rechtskraft und Vollstreckbarkeit) voraus. Ein rechtliches Interesse an der Einleitung eines Verfahrens zur inhaltlichen Prüfung von Versagungsgründen für die Vollstreckung einer Entscheidung überhaupt noch vor deren wirksamer Zustellung (an den Verpflichteten) ist aber jedenfalls zu verneinen.