OGH: Zur Akteneinsicht im Verlassenschaftsverfahren
Der parallel zum Gerichtsakt geführte Handakt des Gerichtskommissärs ist als solcher nicht Teil des gerichtlichen Verlassenschaftsakts und daher auch nicht Gegenstand der Akteneinsicht
§ 22 AußStrG, 219 ZPO, § 9 GKG
GZ 2 Ob 214/23v, 23.01.2024
OGH: Akteneinsicht ist die - einmalige - Informationsaufnahme aus dem Gerichtsakt und soll die effektive Ausübung des rechtlichen Gehörs sowie die Waffengleichheit garantieren. Die Akteneinsicht im Verlassenschaftsverfahren richtet sich nach § 22 AußStrG iVm § 219 ZPO. Nach dieser Bestimmung steht den Parteien die volle Akteneinsicht zu. Die Akteneinsicht umfasst grundsätzlich sämtliche die Rechtssache der Parteien betreffenden, bei Gericht befindlichen Prozessakten.
Der Gerichtskommissär wird im Verlassenschaftsverfahren als Organ der Rechtspflege tätig. Gem § 9 Abs 5 GKG hat der Notar die für die Gerichte geltenden Vorschriften bei seiner Tätigkeit als Gerichtskommissär sinngemäß anzuwenden. Dies gilt insbesondere für den Allgemeinen Teil des AußStrG. Die Handakten der Notare enthalten Informationsaufnahmen, Urkundenentwürfe, Schriftwechsel, Aktenvermerke, Besprechungsnotizen, beglaubigte Kopien von Urkunden udgl. Sie werden meist nach Erledigung der Causa nach Namen oder Nummern (beim Notar) geordnet aufbewahrt und dienen der Rekonstruktion seinerzeitiger Vorgänge im Fall verloren gegangener Urkunden oder im Rechtsstreit. Sie unterstützen das Erinnerungsvermögen des Notars und helfen bei der Abwehr von vermeintlichen Schadenersatzansprüchen gegen ihn. Der (parallel geführte) Handakt des Gerichtskommissärs ist dagegen als solcher nicht Teil des gerichtlichen Verlassenschaftsakts.
Davon zu trennen ist der vom Gerichtskommissär als Rechtspflegeorgan geführte - inhaltlich mit dem Handakt allenfalls teilweise deckungsgleiche - gerichtliche Verlassenschaftsakt als Gegenstand der Akteneinsicht, der aus bestimmten Schriftstücken zu bilden ist und daher jene Unterlagen zu umfassen hat, die letztlich bei Gericht zu verbleiben haben. Durch das AußStrG 2003 wurde der Gerichtskommissär zur zentralen Stelle für die Durchführung des Verlassenschaftsverfahrens. § 144 AußStrG normiert aus diesem Grund, dass im laufenden Verlassenschaftsverfahren alle Eingaben grundsätzlich an den Gerichtskommissär zu richten sind. Daraus resultiert, dass der gerichtliche Verlassenschaftsakt nicht nur die an den Gerichtskommissär gerichteten Eingaben, sondern auch die von ihm als Rechtspflegeorgan vorgenommenen Verfahrensschritte, etwa Verfügungen, Zustellungen (zB § 152 Abs 2 AußStrG), Anfragen bei Banken, Schriftverkehr mit Sachverständigen, Aufforderungen (zB § 157 AußStrG), Protokolle, etc zu umfassen hat. Der Gerichtskommissär ist daher verpflichtet, diese Unterlagen - unabhängig von einer allfälligen Dokumentation auch in seinem Handakt zu internen Zwecken - dem gerichtlichen Verlassenschaftsakt zuzuordnen, der auch Gegenstand der Akteneinsicht ist.