VwGH: Säumnisbeschwerde gem Art 132 Abs 3 B-VG und § 8 VwGVG
Der VwGH hat in Fällen der Verletzung der Entscheidungspflicht zur Frage des überwiegenden Verschuldens der Behörde bereits festgehalten, dass der Begriff des Verschuldens der Behörde nach § 8 Abs 1 VwGVG nicht iSe Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern „objektiv“ zu verstehen ist, als ein solches „Verschulden“ dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war; der VwGH hat in stRsp ein überwiegendes Verschulden der Behörde darin gesehen, dass diese die für die zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet; der allgemeine Hinweis auf die Überlastung der Behörde kann die Geltendmachung der Entscheidungspflicht nicht vereiteln
Art 132 B-VG, § 8 VwGVG, Art 130 B-VG, § 73 AVG
GZ Ra 2023/19/0329, 12.12.2023
VwGH: Gem § 8 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gem Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser, entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.
Nach der Rsp des VwGH ist die Frage, ob die Behörde in einem konkreten Fall ein überwiegendes Verschulden an der Verzögerung der Verfahrenserledigung trifft, anhand der Umstände des Einzelfalles zu prüfen. Diese Frage unterliegt somit - als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigenden Abwägung - grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des VwG. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre.
Der VwGH hat in Fällen der Verletzung der Entscheidungspflicht zur Frage des überwiegenden Verschuldens der Behörde bereits festgehalten, dass der Begriff des Verschuldens der Behörde nach § 8 Abs 1 VwGVG nicht iSe Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern „objektiv“ zu verstehen ist, als ein solches „Verschulden“ dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war. Der VwGH hat in stRsp ein überwiegendes Verschulden der Behörde darin gesehen, dass diese die für die zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet. Der allgemeine Hinweis auf die Überlastung der Behörde kann die Geltendmachung der Entscheidungspflicht nicht vereiteln.
Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 24. Mai 2016, Ro 2016/01/0001 bis 0004, auf dessen Begründung gem § 43 Abs 2 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass die damals verfahrensgegenständliche extrem hohe Zahl an asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - ungeachtet der vom Bund getroffenen bzw weiterhin zu treffenden personellen Maßnahmen zur Verfahrensbewältigung - unzweifelhaft eine extreme Belastungssituation darstellt, die sich in ihrer Exzeptionalität von sonst allenfalls bei (anderen) Behörden auftretenden herkömmlichen Überlastungszuständen ihrem Wesen nach und sohin grundlegend unterscheidet.
Der Revision gelingt es mit dem Zulässigkeitsvorbringen auch vor dem Hintergrund der im Verfahren abgegebenen Stellungnahme vom 8. März 2023 - wonach stark angestiegene Antragszahlen einen Grund für Verzögerungen darstellen können, die gegenständliche Verzögerung maßgeblich auf das Fehlen verfahrensnotwendiger Unterlagen gründe sowie der Ausnahmesituation in den Jahren 2015 und 2016 geschuldet sei - nicht darzulegen, dass das VwG im konkreten Fall vom Vorliegen einer den Ausführungen im Erkenntnis des VwGH vom 24. Mai 2016, Ro 2016/01/0001 bis 0004, vergleichbaren exzeptionellen Überlastungssituation der Vertretungsbehörde hätte ausgehen müssen. Dass dem VwG, welches nicht verkannte, dass die exzeptionelle Überlastung der Behörde einen solchen Ausnahmefall darstellen könne, dabei eine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, wird nicht aufgezeigt.