26.02.2024 Fremdenrecht

VwGH: Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft

Der VwGH hat in seiner Rsp (zur Beurteilung des Verlusts der Staatsangehörigkeit von Familienangehörigen) bereits klargestellt, dass ein durch die Feststellung des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 42 Abs 3 StbG allenfalls bewirkter Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft der Kinder der betroffenen Personen (nach § 29 StbG) in gesonderten Feststellungsverfahren nach § 42 StbG zu prüfen ist, in denen auch die unionsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist; mit dem bloßen Hinweis auf den möglichen Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft für die minderjährigen Kinder wird daher keine unvertretbare Fehlbeurteilung der (im Hinblick auf die Eltern) durchgeführten unionsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgezeigt


Schlagworte: Staatsbürgerschaftsrecht, Verlust, Wiederverleihung der türkischen Staatsangehörigkeit, Kinder, Verhältnismäßigkeitsprüfung
Gesetze:

 

§ 27 StbG, § 7 StbG, § 28 StbG, § 29 StbG, § 42 StbG

 

GZ Ra 2023/01/0110, 21.11.2023

 

VwGH: Gem § 7 Abs 1 StbG erwerben Kinder die Staatsbürgerschaft mit dem Zeitpunkt der Geburt, wenn in diesem Zeitpunkt ua (Z 1) die Mutter gem § 143 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches - ABGB, JGS 946/1811, Staatsbürgerin ist oder (Z 2) der Vater gem § 144 Abs 1 Z 1 ABGB Staatsbürger ist.Gem § 27 Abs 1 StbG verliert die Staatsbürgerschaft, wer auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden ist.Gem § 29 Abs 1 erster Satz StbG erstreckt sich der Verlust der Staatsbürgerschaft gem § 27 auf die Kinder des Fremden, sofern sie minderjährig und ledig sind und ihm von Rechts wegen in die fremde Staatsangehörigkeit folgen oder folgen würden, wenn sie diese nicht bereits besäßen, wenn 1. die Mutter gem § 143 ABGB, oder 2. der Vater gem § 144 Abs 1 ABGB die Staatsbürgerschaft verliert, es sei denn der andere Elternteil ist weiterhin Staatsbürger.Gem § 42 Abs 3 StbG kann ein Feststellungsbescheid von Amts wegen erlassen werden, wenn ein öffentliches Interesse an der Feststellung besteht.

 

Nach der Rsp des VwGH ist ausgehend vom festgestellten Vorliegen der Voraussetzungen für den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft gem § 27 Abs 1 StbG und einem damit verbundenen gleichzeitigen Verlust des Unionsbürgerstatus nach der Rsp des EuGH vom 12. März 2019 in der Rechtssache C-221/17, Tjebbes ua, von der zuständigen nationalen Behörde und gegebenenfalls dem nationalen Gericht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen.

 

Zu den Kriterien einer solchen unionsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung kann gem § 43 Abs 2 VwGG auf die Begründung des Beschlusses des VwGH vom 18. Februar 2020, Ra 2020/01/0022, Rn. 21 - 26, verwiesen werden. Demnach hält der VwGH neben der vom VfGH in seinem Beschluss vom 17. Juni 2019, E 1302/2019, vertretenen verfassungsrechtlichen Sicht (weiterhin) eine derartige Verhältnismäßigkeitsprüfung nach den Kriterien des EuGH in der Rechtssache Tjebbes ua für unionsrechtlich geboten. Eine solche unionsrechtlich gebotene Prüfung erfordert eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles durchgeführte Gesamtbetrachtung. Bei einer solchen Gesamtbetrachtung wird jedoch regelmäßig der vom VfGH aus verfassungsrechtlicher Sicht angeführte Umstand, dass der Betroffene - wie hier der Erst- und die Zweitmitbeteiligte - die ihm eingeräumte Möglichkeit zur Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft (nach § 28 Abs 1 StbG) nicht wahrgenommen hat, von maßgeblicher Bedeutung sein. Dieser Umstand entbindet das VwG aber nicht von der unionsrechtlich gebotenen Gesamtbetrachtung, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist. Dies bedeutet, dass das Unionsrecht dem ex lege eintretenden Verlust der Staatsbürgerschaft nach § 27 Abs 1 StbG nur bei Vorliegen besonders gewichtiger bzw außergewöhnlicher Umstände (des Privat- und Familienlebens des Betroffenen) entgegensteht.

 

Eine (derartige) unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel iSd Art 133 Abs 4 B-VG.

 

Der VwGH hat in seiner Rsp (zur Beurteilung des Verlusts der Staatsangehörigkeit von Familienangehörigen) bereits klargestellt, dass ein durch die Feststellung des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 42 Abs 3 StbG allenfalls bewirkter Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft der Kinder der betroffenen Personen (nach § 29 StbG) in gesonderten Feststellungsverfahren nach § 42 StbG zu prüfen ist, in denen auch die unionsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist. Mit dem bloßen Hinweis auf den möglichen Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft für die minderjährigen Kinder wird daher keine unvertretbare Fehlbeurteilung der (im Hinblick auf die Eltern) durchgeführten unionsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgezeigt.

 

Vor dem Hintergrund dieser Rsp erweist sich die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der (rückwirkende) Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft des Erst- und der Zweitmitbeteiligten zwingend zum Verlust der Staatsbürgerschaft des Drittmitbeteiligten führen würde ebenso unzutreffend wie die Annahme, dass die (gesondert festgestellte) Unverhältnismäßigkeit des Verlusts der Staatsbürgerschaft des Drittmitbeteiligten jedenfalls auch die Unverhältnismäßigkeit des Verlusts der Staatsbürgerschaft seiner Eltern, des Erst- und der Zweitmitbeteiligten, bewirkt.