OGH: Zur Amtshaftung wegen unterlassener Selbstanzeige der Befangenheit des Richters
Der Schutzzweck des § 22 GOG und des § 182 Geo umfasst jedenfalls auch den Ersatz frustrierter Verfahrenskosten
§ 1 AHG, §§ 1295 ff ABGB, § 22 GOG, § 182 Geo, Art 6 EMRK, Art 47 GRC
GZ 1 Ob 189/23k, 23.01.2024
OGH: Gem § 22 GOG, § 182 Geo sind Richter verpflichtet, Umstände, die sie von ihrer Amtsausübung ausschließen oder die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen, unverzüglich dem Leiter des Gerichts anzuzeigen („Selbstmeldung“). Die Anzeige einer Befangenheit durch den Richter betrifft die Vorsorge für eine den Ansprüchen des Art 6 EMRK, aber auch des Art 47 GRC entsprechende Gerichtsbarkeit. Art 6 EMRK gibt den Parteien ein Recht auf Entscheidung durch ein unparteiisches Organ auch bei bloßem Anschein von Befangenheit, und zwar ohne Prüfung eines Einflusses auf das Verfahrensergebnis.
Der OGH hat bereits ausgesprochen, dass Verfahrensgesetze gerade dem Schutz der durch einen Antrag betroffenen Person dienen. So bezweckt zB die Bestimmung des § 52 Geo („Verkehr mit Parteien“) zumindest auch die Gewährleistung eines fairen Verfahrens und ein Verstoß gegen das dem Richter dadurch auferlegte Sachlichkeitsgebot, der zu berechtigten Ablehnungsanträgen mit der Nichtigerklärung von Prozesshandlungen führt, kann den Zuspruch der Kosten des frustrierten Verfahrensaufwands im Wege der Amtshaftung rechtfertigen.
Nichts anderes kann für einen Verstoß gegen die - den Anspruch der Parteien auf ein unparteiisches Gericht schützende - Verpflichtung des Richters zur Selbstmeldung einer Ausgeschlossenheit oder Befangenheit gelten. Auch in der Lit wird vertreten, dass der Schutzzweck des § 22 GOG und des § 182 Geo jedenfalls auch den Ersatz frustrierter Verfahrenskosten umfasst.
Im Amtshaftungsverfahren hat der Kläger zu behaupten und (mit überwiegender Wahrscheinlichkeit) unter Beweis zu stellen, dass die geltend gemachten Kosten bei gebotenem Verhalten - Selbstmeldung des Gerichtsvorstehers und Entscheidung durch einen unbefangenen Richter - nicht entstanden wären, also frustriert waren. Insoweit ist ein Anscheinsbeweis nicht zulässig. Aus der Tatsache, dass ein (zumindest dem äußeren Anschein nach) befangener Richter entschieden hat, ergibt sich nicht typischerweise, dass diese Entscheidung auch unrichtig war, zumal eine subjektive Befangenheit des Richters gar nicht vorliegen muss, um den Anschein einer objektiven Befangenheit anzunehmen. Soweit der hypothetische Verfahrensausgang des Vorverfahrens zu beurteilen ist, ist nach der Rsp nicht darauf abzustellen, wie das Gericht des Vorprozesses - wären die beanstandeten Unterlassungen unterblieben - seinerzeit entschieden hätte, sondern darauf, wie der Vorprozess (hier Ablehnungsverfahren) richtigerweise hätte entschieden werden müssen.