OGH: Zur Vertrauenswürdigkeit von Rechtsanwaltsanwärtern
Der strafgerichtlich Verurteilte ist außerhalb der in § 6 Abs 1 Z 1 bis 3 TilgG genannten Verfahren zufolge § 6 Abs 5 TilgG nicht verpflichtet, die Verurteilung anzugeben
§ 5 RAO, § 30 RAO, § 6 TilgG
GZ 19 Ob2/23t, 16.10.2023
OGH: Der Maßstab der Vertrauenswürdigkeit ist für Rechtsanwaltsanwärter derselbe wie für Rechtsanwälte und ist danach zu beurteilen, ob das gesamte berufliche und charakterliche Verhalten eine in jeder Hinsicht korrekte und absolut verlässliche Berufsausübung erwarten lässt.
Schon alleine die Abgabe einer objektiv unrichtigen eidesstättigen Erklärung, mit der bestätigt wird, dass keine inländischen oder ausländischen Verurteilungen vorliegen bzw kein strafgerichtliches Verfahren anhängig ist, obwohl eine strafgerichtliche Verurteilung vorliegt, ist im Regelfall ein Verhalten, das keine in jeder Hinsicht korrekte und absolut verlässliche Berufsausübung erwarten lässt. Die rechtsuchende Bevölkerung muss darauf vertrauen können, dass Standesmitglieder der Rechtsanwaltschaft ihnen gegenüber objektiv richtige Erklärungen abgeben. Schon alleine die Abgabe der objektiv unrichtigen eidesstättigen Erklärung wäre daher in aller Regel für das Vorliegen von Vertrauensunwürdigkeit ausreichend.
Im hier vorliegenden Sonderfall betrifft die strafgerichtliche Verurteilung der Berufungswerberin allerdings eine solche, die dem § 6 Abs 2 Z 1 TilgG und der Beschränkung der Auskunft nach dieser Bestimmung unterfällt. Das Verfahren über die von der Berufungswerberin gestellten Anträge wird in § 6 Abs 1 TilgG nicht genannt und der Verurteilte ist außerhalb der in § 6 Abs 1 Z 1 bis 3 TilgG genannten Verfahren zufolge § 6 Abs 5 TilgG nicht verpflichtet, die Verurteilung anzugeben. Die von der Berufungswerberin unterlassene Angabe der vorgelegenen Verurteilung war daher - weil dem § 6 Abs 5 TilgG entsprechend - gesetzeskonform und kann daher nicht die Vertrauensunwürdigkeit begründen.
Im Ergebnis folgt, dass die von der Berufungswerberin unterlassene Angabe der vorgelegenen Verurteilung im Hinblick auf § 6 Abs 5 TilgG gesetzeskonform war und daher deren Vertrauensunwürdigkeit nicht zu begründen vermag.