OGH: Zur Belehrungspflicht des Notars bei der Solennisierung von Privaturkunden
Gem § 54 Abs 2 NO muss die Privaturkunde dem Notar vorgelegt und von ihm (ua) nach den §§ 52 und 53 NO geprüft werden; die Prüfpflicht erstreckt sich nicht bloß auf die Überprüfung der formellen Voraussetzungen zum Abschluss eines Notariatsakts, sondern ist als materiell-rechtliche Belehrungspflicht zu verstehen
§§ 52 ff NO
GZ 7 Ob 173/23a, 11.12.2023
OGH: Gem § 54 Abs 1 NO kann „eine bereits errichtete Privaturkunde“ notariell bekräftigt werden. Dabei ist nach zutreffender Ansicht nicht nur die notarielle Bekräftigung einer bereits unterzeichneten Urkunde, sondern auch die gleichzeitige Unterfertigung von Privaturkunde und Mantelakt zulässig. Es folgt weder aus dem Wortlaut der Bestimmung noch aus dem systematischen Zusammenhang die Einschränkung, dass die Unterfertigung nicht unmittelbar vor Errichtung des Mantelakts erfolgen dürfte. Eine Änderung des Inhalts der Privaturkunde durch den Mantelakt ist hingegen nicht zulässig. Vielmehr müssen inhaltliche Änderungen bereits vor Errichtung des Notariatsakts auf der Privaturkunde selbst oder durch entsprechenden Nachtrag (ebenfalls in Form einer Privaturkunde) erfolgen.
Gem § 54 Abs 2 NO muss die Privaturkunde dem Notar vorgelegt und von ihm (ua) nach den §§ 52 und 53 NO geprüft werden. Diese Prüfpflicht erstreckt sich nicht bloß auf die Überprüfung der formellen Voraussetzungen zum Abschluss eines Notariatsakts, sondern ist als materiell-rechtliche Belehrungspflicht zu verstehen. Demgemäß hat der Notar (ua) zu prüfen, ob der Urkundeninhalt klar und bestimmt abgefasst ist (§ 52 NO) und keine dunklen oder zweideutigen Bestimmungen enthält, die Anlass zu Rechtsstreitigkeiten geben könnten (§ 53 NO).
Nach § 52 NO ist der Notar ua verpflichtet, bei Aufnahme eines Notariatsakts die Parteien über den Sinn und die Folgen desselben zu belehren. Gem § 53 NO hat er die Parteien über dunkle oder zweideutige Bestimmungen zu belehren, die Anlass zu Rechtsstreitigkeiten geben könnten, wobei sich Umfang und Reichweite dieser Belehrungspflicht (auch) nach § 52 NO richten. Das Ausmaß der Belehrung gem § 52 NO richtet sich nach dem gegebenen Bildungs- und Intelligenzgrad, den offenbaren Kenntnissen der Parteien und einer allfälligen rechtskundigen Vertretung. Keine Pflicht zur Belehrung besteht, wenn die Parteien darauf verzichten, weil sie schon (rechtskundigen) Rat eingeholt haben oder rechtskundig (zB Juristen) sind, oder wenn feststeht, dass sie zwecklos wäre (etwa bei unumstößlicher Voreingenommenheit, offensichtlicher „Sturheit“, völliger Uneinsichtigkeit) oder wenn die Parteien einen rechtlich unbedenklichen vollständigen Entwurf vorlegen und sich über Bedeutung und Folgen des Geschäfts im Klaren sind. Die Belehrungspflicht darf auch nicht als Prüfpflicht hinsichtlich der wirtschaftlichen Günstigkeit des abzuschließenden Rechtsgeschäfts missverstanden werden; die Beurteilung der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit ist daher nicht Aufgabe des Notars.