02.01.2024 Verfahrensrecht

OGH: Zu den Informationspflichten des Gerichtskommissärs

Auch (scheinbar) formungültige oder widerrufene Verfügungen sind den Parteien und gesetzlichen Erben zuzustellen; zur Abgabe einer Erbantrittserklärung aufzufordern sind aber nur diejenigen, die nach der Aktenlage auch tatsächlich in Frage kommen


Schlagworte: Außerstreitverfahren, Verlassenschaftsverfahren, Gerichtskommissär, Zustellung, unbeglaubigte Abschriften, letztwillige Verfügungen, Widerruf, Formungültigkeit, Aufforderung, Erbantrittserklärung
Gesetze:

 

§ 152 AußStrG, § 157 AußStrG

 

GZ 2 Ob 168/23d, 25.10.2023

 

OGH: Gem § 152 Abs 2 AußStrG hat der Gerichtskommissär den Parteien und jenen, die nach der Aktenlage aufgrund des Gesetzes zur Erbfolge berufen wären, unbeglaubigte Abschriften der Urkunden über letztwillige Anordnungen (Testamente, sonstige letztwillige Verfügungen) und deren Widerruf, Vermächtnis-, Erb- und Pflichtteilsverträge, Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge und deren Aufhebung oder sonstige Erklärungen auf den Todesfall zuzustellen. Die Zustellung soll das rechtliche Gehör der von einer Verfügung Betroffenen wahren, um denjenigen, die bei Ungültigkeit der Erklärung als Erben in Frage kämen, substantielle Informationen zu geben. Der Zweck der Gehörgewährung liegt insbesondere darin, die Möglichkeit zur Bestreitung der letztwilligen Verfügung zu eröffnen.

 

Im Einzelnen ist strittig, welche Urkunden wem zuzustellen sind. Die hL plädiert unter Hinweis auf den Gesetzeszweck und darauf, dass der Gerichtskommissär nicht über die allfällige Formgültigkeit und Wirksamkeit einer Verfügung entscheiden, sondern bloß belehren soll, für eine grundsätzlich umfassende Zustellverpflichtung. Zuzustellen seien daher auch (scheinbar) formungültige oder widerrufene Verfügungen. Auch wenn das Gesetz nur eine Zustellung an die Parteien und (ausgeschlossene) gesetzliche Erben vorsehe, sei im Hinblick auf die ratio legis und die Gleichheit der Interessenlage auch jenen testamentarischen Erben in analoger Anwendung des § 152 Abs 2 AußStrG zuzustellen, die durch eine spätere letztwillige Verfügung (scheinbar) von der Erbfolge ausgeschlossen seien. Ebenso sei eine Zustellung an Ersatz- oder Nacherben vorzunehmen. Der Fachsenat hält diese Ausführungen für zutreffend.

 

Dem Schutz der nach der Aktenlage nur potentiell (im Fall der Unwirksamkeit einer Verfügung) Berufenen (arg: „berufen wären“) wird durch die nach § 152 Abs 2 AußStrG ohnehin vorgesehene Zustellung Rechnung getragen und ihnen so die Möglichkeit der Bekämpfung der Verfügung eröffnet. Eine - über diese Verständigung durch Zustellung hinausgehende - Aufforderung aller aufgrund der Aktenlage (nur) potentiell in Betracht kommender gesetzlicher oder (früherer) testamentarischer Erben, trotz Vorliegens eines unbedenklichen, mit allen gesetzlichen Förmlichkeiten versehenen (späteren) Testaments eine Erbantrittserklärung abzugeben (§ 157 Abs 1 AußStrG), würde unter den Beteiligten nur Verwirrung stiften und auch den Belehrungspflichten des Gerichtskommissärs zuwiderlaufen. Diese gebieten es vielmehr, nur jene Personen zur Abgabe einer Erbantrittserklärung aufzufordern, die nach der Aktenlage auch tatsächlich in Frage kommen, während (nur) potentiell Berufene allenfalls auf Anfechtungsmöglichkeiten hinzuweisen sein könnten.