19.12.2023 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Frage, ob eine Verwirkung nach § 88 Abs 1 Z 2 ASVG ausscheidet, wenn es wegen der Zurechnungsunfähigkeit des Täters nicht zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe kommt

Eine im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangene Tat erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 88 Abs 1 Z 2 ASVG und führt daher auch nicht zu einer Verwirkung von Ansprüchen


Schlagworte: Verwirkung des Leistungsanspruches, Vorsatztat, Zurechnungsunfähigkeit, Maßnahmenvollzug
Gesetze:

 

§ 88 ASVG

 

GZ 10 ObS 19/23a, 28.09.2023

 

Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch des 1989 geborenen Klägers auf eine Waisenpension nach seinem am 21. September 2018 verstorbenen Vater.

 

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 21. Februar 2019 wurde der Kläger in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB eingewiesen. Dem lag zugrunde, dass er am 21. September 2018 seinen Vater unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (paranoide Schizophrenie; psychische Verhaltensstörung durch Cannabinoide) vorsätzlich getötet und damit eine Tat begangen hat, die als Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. Seit 21. Februar 2019 befindet sich der Kläger im Maßnahmenvollzug.

 

OGH: Eine im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangene Tat erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 88 Abs 1 Z 2 ASVG und führt daher auch nicht zu einer Verwirkung von Ansprüchen. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dazu entschieden, an subjektiv nicht vorwerfbare Handlungen (auch) keine sozialrechtlichen Sanktionen zu knüpfen und nimmt dabei selbst gravierende Fälle wie den vorliegenden in Kauf. Das mag auf den ersten Blick überraschen, stellt letztlich aber eine konsequente Anwendung des (einfachgesetzlich) in § 4 StGB verankerten Schuldprinzips dar.