12.12.2023 Zivilrecht

OGH: Zur Auslegung von Verträgen mit Gemeinden

Bezieht sich die Ermächtigung des Bürgermeisters im zugrunde liegenden Gemeinderatsbeschluss auf ein konkretes Rechtsgeschäft und setzt die Vertragserklärung des Bürgermeisters den Wortlaut des Gemeinderatsbeschlusses um, so ist der Gemeinderatsbeschluss schon bei der Auslegung der Vertragsbestimmungen zu berücksichtigen


Schlagworte: Vertragsabschluss, Rechtsgeschäft, Wirksamkeit, Vertragsauslegung, Gemeinde, Organ, Vertragserklärung des Bürgermeisters, Ermächtigung, Gemeinderatsbeschluss
Gesetze:

 

§§ 914 f ABGB, § 35 NÖ GemO

 

GZ 3 Ob 187/23f, 13.11.2023

 

OGH: Ist für den Abschluss eines Rechtsgeschäfts eine Beschlussfassung durch den Gemeinderat erforderlich, so ist das ohne eine solche Beschlussfassung vom Bürgermeister abgeschlossene Rechtsgeschäft nach stRsp für die Gemeinde nicht verbindlich. Damit sind jene Bestimmungen der Gemeindeordnungen, die bestimmte Rechtsgeschäfte dem Gemeinderat vorbehalten, keine bloß internen Organisationsvorschriften, sondern eine Beschränkung der allgemeinen Vertretungsbefugnis des Bürgermeisters. Dies bedeutet, dass die Vertragserklärung des Bürgermeisters zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von einem Gemeinderatsbeschluss gedeckt sein muss. Dabei kann sich die Ermächtigung des Bürgermeisters entweder auf ein konkretes Rechtsgeschäft oder allgemein auf eine ausreichend bestimmte Art von Rechtsgeschäften beziehen.

 

Ein Gemeinderatsbeschluss ist objektiv nach dem Aussagewert des Textes, also dem Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung und iZm dem zugrunde gelegenen Geschäftszweck auszulegen.

 

Demgegenüber ist auch bei der Auslegung eines vom Bürgermeister abgeschlossenen Vertrags grundsätzlich zunächst vom Wortlaut des schriftlichen Vertragstextes oder vom Wortsinn der mündlichen Vertragserklärungen auszugehen, aber nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der Wille der Parteien zu erforschen. Wird kein - vom Vertragstext oder Wortsinn abweichender oder diesen präzisierender oder ergänzender - übereinstimmender Parteiwille behauptet oder festgestellt, so ist für die Auslegung der objektive Erklärungswert des Vertragstextes bzw der Erklärungen mit Rücksicht auf den Geschäftszweck maßgebend.

 

Bezieht sich die Ermächtigung des Bürgermeisters im zugrunde liegenden Gemeinderatsbeschluss - wie hier - auf ein konkretes Rechtsgeschäft und setzt die Vertragserklärung des Bürgermeisters den Wortlaut des Gemeinderatsbeschlusses um, so ist der Gemeinderatsbeschluss schon bei der Auslegung der Vertragsbestimmungen zu berücksichtigen.