OGH: Wertende Meinungsäußerung (§ 1330 ABGB)
Im Rahmen politischer Auseinandersetzungen und bei „Public Figures“ genügt bereits ein „dünnes Tatsachensubstrat“ für die Zulässigkeit einer Wertung; dies gilt auch für gesellschaftspolitische Aussagen
§ 1330 ABGB, Art 10 EMRK
GZ 4 Ob 13/23z, 17.10.2023
OGH: § 1330 ABGB schützt die Ehre von Personen und ihren Ruf. § 1330 Abs 1 ABGB erfasst Ehrenbeleidigungen, die zugleich Tatsachenbehauptungen sein können; Abs 2 erfasst hingegen nur unwahre rufschädigende Tatsachenbehauptungen, nicht jedoch Werturteile.
Werturteile geben eine rein subjektive Meinung des Erklärenden wieder und können daher objektiv nicht überprüft werden. Charakteristisch für Werturteile ist also, dass sie keinem Wahrheitsbeweis zugänglich sind. Ob durch eine Äußerung Tatsachen verbreitet werden oder eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richtet sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck für den unbefangenen Durchschnittsadressaten. Das gilt auch für die Beurteilung des Bedeutungsinhalts einer Aussage. Dabei sind auch der Zusammenhang, in den die Äußerung gestellt wird, die Form, in der sie gebracht wird, der Gegenstand, den sie betrifft, und alle sonstigen Umstände, die für den Eindruck auf das angesprochene Publikum maßgebend sein können, zu beachten; dabei kann ein und dieselbe Äußerung je nach den Umständen bald als Tatsachenbehauptung, bald als Werturteil aufzufassen sein. Auch der Anlass für die inkriminierte Äußerung ist zu beachten. IZm einer Rechtsfolgenbehauptung wird umso eher ein Werturteil vorliegen, je weniger diese einfach aus dem Gesetz abzulesen ist, sondern auf einem Vorgang der persönlichen Erkenntnisgewinnung beruht, je eingehender die Grundlagen dieses Erkenntnisprozesses dargestellt werden, und je deutlicher zum Ausdruck kommt, dass eine subjektive Überzeugung im geistigen Meinungsstreit vertreten wird. Auch bei Werturteilen, die in Rechte anderer eingreifen, ist ein zumindest ausreichendes Tatsachensubstrat erforderlich und daher zu prüfen, ob ein wertender Vorwurf zumindest auf ein im Kern wahres Tatsachensubstrat zurückgeführt werden kann.
Im Rahmen politischer Auseinandersetzungen und bei „Public Figures“ genügt jedoch bereits ein „dünnes Tatsachensubstrat“ für die Zulässigkeit einer Wertung. Auch bei Privatpersonen und privaten Vereinigungen werden die Grenzen zulässiger Kritik weiter gezogen, sobald sie die politische Bühne, also die Arena der politischen Auseinandersetzung, betreten. Wer in Fragen der politischen Haltung gezielt Einfluss nehmen will, muss das Risiko öffentlicher, auch scharfer abwertender Kritik seiner Ziele auf sich nehmen und Polemik gegen seine Person hinnehmen. Diese Grundsätze gelten nicht nur für parteipolitische Äußerungen, sondern sind auch auf gesellschaftspolitische Aussagen anzuwenden. Der selbstständig Tätige muss sich in seinem beruflichen Bereich auf die Beobachtung seines Verhaltens durch die breitere Öffentlichkeit wegen der Wirkungen, die seine Tätigkeit für andere hat, und auf Kritik an seinen Leistungen einstellen.