07.11.2023 Zivilrecht

OGH: Zur Haftung des Vertragshändlers für Arglist des Herstellers („Dieselskandal“)

Die Einbeziehung der (Werbe-)Äußerungen der Herstellerin in die Auslegung des Kaufvertrags zwischen der Klägerin und der beklagten Händlerin führt nicht dazu, dass diese sich das - im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits abgeschlossene - (allenfalls) schuldhafte (listige) Verhalten der Herstellerin zurechnen lassen muss


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Irrtum Arglist, Erzeuger, Hersteller, Vertragshändler, Willensmangel, Herbeiführung durch Dritte, Gehilfenhaftung, Erfüllungsgehilfe, Dieselskandal
Gesetze:

 

§§ 870 ff ABGB, §§ 1295 ff ABGB, § 1313a ABGB

 

GZ 9 Ob 21/22m, 27.09.2023

 

OGH: Der Erzeuger (Produzent), der die Ware zunächst dem Käufer liefert, der sie seinerseits an seinen Käufer weitergibt, ist idR nicht Erfüllungsgehilfe (§ 1313a ABGB) des Verkäufers (Zwischenhändlers). Der Händler haftet dem Käufer gegenüber nur für die Erfüllung der ihn selbst treffenden Pflichten (Auswahl eines geeigneten Erzeugers, für die einwandfreie Lagerung der Ware, den Hinweis auf Gefahren, und für die ordnungsgemäße Verpackung). Bedient sich jedoch der Verkäufer zur Erfüllung seiner Pflichten des Herstellers, wird dieser (nur) in diesem Umfang Erfüllungsgehilfe des Verkäufers. Der Käufer kann vom Händler regelmäßig nicht erwarten, dass dieser eine eigene kostspielige technische Kontrolle der Kaufsache vornimmt. Der Händler muss sich insoweit grundsätzlich regelmäßig auf die ihm vom Produzenten erteilten Hinweise verlassen können, sofern er nicht aufgrund ihm bereits bekannt gewordener Schadensfälle Zweifel an deren Richtigkeit haben muss.

 

Die Herbeiführung eines Willensmangels durch einen Dritten, der kein Gehilfe ist („echter Dritter“), führt nach § 875 ABGB nur dann zur Anfechtung, wenn der Geschäftspartner an der Handlung des Dritten teilgenommen hat oder von derselben offenbar wissen musste. In diesen Fällen ist der Vertragspartner nicht schutzwürdig und der Dritte wird dem Vertragspartner „irrtumsrechtlich“ zugerechnet. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, das (allfällige) arglistige Verhalten der Herstellerin sei der Beklagten aufgrund ihrer Stellung als Vertragshändlerin der Herstellerin direkt zurechenbar, wird vom Senat nicht geteilt.

 

Auch wenn die beklagte Vertragshändlerin ausschließlich die Fahrzeugmarken der Herstellerin vertreibt und ihr wirtschaftlicher Erfolg daher ua von der Öffentlichkeitsarbeit der Herstellerin abhängt, „bedient“ sie sich beim Verkauf eines Fahrzeugs nicht der Herstellerin, weshalb diese nicht Erfüllungsgehilfin der beklagten Händlerin ist. Die Einbeziehung der (Werbe-)Äußerungen der Herstellerin in die Auslegung des Kaufvertrags zwischen der Klägerin und der beklagten Händlerin führt nicht dazu, dass diese sich das - im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits abgeschlossene - (allenfalls) schuldhafte (listige) Verhalten der Herstellerin insofern zurechnen lassen muss, dass sie an der Handlung des Herstellers iSd § 875 ABGB „teilgenommen“ hätte.