07.11.2023 Zivilrecht

OGH: § 1325 ABGB – zum Beweismaß beim Verdienstentgang

Steht der Verdienstentgang nicht zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, so ist er nur als entgangener Gewinn zu beurteilen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Körperverletzung, Verdienstentgang, Beweislast, Beweismaß, überwiegende Wahrscheinlichkeit, verletztes Kind, Eintritt ins Erwerbsleben. hypothetischer Geschehensablauf, entgangener Gewinn
Gesetze:

 

§ 1325 ABGB, §§ 266 ff ZPO

 

GZ 9 Ob 12/23i, 27.09.2023

 

OGH: Verdienstentgang iSd § 1325 ABGB ist der Entgang dessen, was dem Verletzten durch die Minderung seiner Erwerbsfähigkeit entgeht. Ein Ersatzanspruch wegen Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit setzt idR voraus, dass der Verletzte zur Zeit der Verletzung im Erwerb stand, ist aber auch gegeben, wenn angenommen werden muss, dass der Verletzte Erwerb gesucht und gefunden hätte. Einem Kind gebührt vor Erreichung des Alters, in dem es ohne den Unfall erwerbsfähig geworden wäre, noch kein Ersatz des Verdienstentgangs.

 

Hier stand die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls (noch) nicht im Erwerbsleben. Es trifft sie daher die Beweislast dafür, dass sie einen künftigen Beruf gesucht und gefunden hätte. Welches Einkommen sie bei Ausnützung ihrer Erwerbsfähigkeit ohne die Unfallsfolgen erzielt hätte, kann nur aufgrund hypothetischer Feststellungen über einen nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartenden Geschehensablauf beurteilt werden. Es kommt dafür einerseits auf die persönlichen Verhältnisse des Verletzten (seines allgemeinen Gesundheitszustands, seiner Interessen an einer beruflichen Tätigkeit und Eignung dazu), andererseits auf die allgemeine Lage auf dem Arbeitsmarkt an. Ist ein Zustand festgestellt, der sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge nicht von selbst ändert, so hat derjenige, der eine solche Änderung behauptet, hiefür den Beweis zu erbringen.

 

Feststellungen zum gewöhnlichen Verlauf der Dinge betreffen trotz ihres hypothetischen Charakters ausschließlich den Tatsachenbereich. Die Wertung dieser Tatsachenfeststellungen hingegen, ob damit der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht ist, gehört zum Gebiet der Beweislastverteilung und somit zur rechtlichen Beurteilung. In Fällen, die vornehmlich schwer zu beweisende fiktive Geschehensabläufe betreffen, lässt die Rsp als reduziertes Beweismaß die überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Zum Verdienstentgang lässt sich die Rsp wie folgt zusammenfassen: Soweit es darum geht festzustellen, was eine Person unter bestimmten Voraussetzungen erworben hätte, ist volle Gewissheit nicht zu erwarten, wohl aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit erforderlich. Das fiktive Einkommen kann zumeist nur aufgrund hypothetischer Feststellungen über einen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Geschehensablauf beurteilt werden. Steht nicht mit Sicherheit oder zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger ohne den Unfall die vor diesem ins Auge genommene Anstellung erhalten hätte und damit ins Verdienen gekommen wäre, fehlt es am Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Verletzung des Klägers und dem behaupteten Verdienstentgang. Steht der Verdienstentgang nicht zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, so ist er nur als entgangener Gewinn zu beurteilen.