31.10.2023 Zivilrecht

OGH: Arbeiten auf oder neben der Straße – zum Normzweck des § 90 StVO (hier: Unfall während Abbiegevorgangs eines LKW von Landstraße auf Güterweg um auf eine Deponie zu gelangen)

Vom Normzweck des § 90 StVO sind (nur) jene zusätzlichen Gefahren umfasst, die mit den Arbeiten auf oder neben der Fahrbahn einhergehen; es ist erforderlich, dass die für den Verkehr verbundenen Beeinträchtigungen (= Gefahren oder Behinderungen) bei den Arbeiten auf oder neben der Straße über jene Gefahren hinausgehen müssen, die typischerweise bereits mit dem Straßenverkehr an sich verbunden sind; der bloße Umstand, dass sich durch den Transport des Schwemmmaterials zur „Deponie“ die Frequenz von LKW auf der Bundesstraße und die Abbiegevorgänge zum Güterweg erhöhten, reicht für die Anwendung des § 90 Abs 1 StVO nicht aus


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Straßenverkehrsrecht, Arbeiten auf oder neben der Straße, Normzweck, Deponie, Straßenverkehr, Abbiegevorgänge, allgemeine Verkehrssicherungspflichten
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 90 StVO, § 1311 ABGB

 

GZ 2 Ob 160/23b, 19.09.2023

 

OGH: Die bisherige Jud prüfte Verstöße gegen § 90 StVO (zB Umfang der Absicherungen, Einholung von Bewilligungsbescheiden und deren Befolgung) ausschließlich dann, wenn sich der Unfall iZ Bauarbeiten oder Baustellen (auch) direkt auf oder neben der Straße ereignete (zB 2 Ob 201/77 [Hineinragen einer Spleißgrube in die Fahrbahn]; 8 Ob 95/78 [Arbeiten im Bereich des Banketts]; 2 Ob 136/78 [Absicherung einer Straßenbaustelle]; 2 Ob 46/84 [Absperrung einer Straßenbaustelle]; 2 Ob 2171/96w [Betonleitwände entlang der Fahrbahn]; 2 Ob 157/09s [Baustelle auf Fahrbahn] etc).

 

Das entspricht dem Normzweck des § 90 Abs 1 StVO. Diese Regel will durch die Bewilligungspflicht eine Gefährdung oder Behinderung des Verkehrs durch die Arbeiten verhindern. Der Gesetzgeber sieht eine behördliche Bewilligungspflicht folgerichtig nur wegen der mit den Arbeiten verbundenen Gefahren oder Behinderungen vor. Somit sind vom Normzweck des § 90 StVO (nur) jene zusätzlichen Gefahren umfasst, die mit den Arbeiten auf oder neben der Fahrbahn einhergehen. Es ist erforderlich, dass die für den Verkehr verbundenen Beeinträchtigungen (= Gefahren oder Behinderungen) bei den Arbeiten auf oder neben der Straße über jene Gefahren hinausgehen müssen, die typischerweise bereits mit dem Straßenverkehr an sich verbunden sind.

 

Eine von § 90 StVO umfasste Gefahrenquelle, die nicht typischerweise mit dem Straßenverkehr an sich verbunden ist, sondern darüber hinaus geht, könnte etwa darin liegen, dass durch die Arbeiten die Fahrbahn verengt, verschmutzt oder ihr Passieren sonst (etwa durch Bauarbeiter, Materialien, Maschinen oder andere Hindernisse) beeinträchtigt wird und/oder es zu Gegenverkehrssituationen kommt. Diese Beeinträchtigungen verwirklichen wegen der damit – über den normalen Straßenverkehr hinausgehenden – verbundenen Gefahrenquellen den beschriebenen Normzweck des § 90 Abs 1 StVO.

 

Im hier zu beurteilenden Fall haben die Arbeiten der Beklagten auf der – durch einen eigenen Zufahrtsweg zur Bundesstraße verbundenen – „Deponie“ den Straßenverkehr auf der Bundesstraße nicht iSd § 90 Abs 1 StVO beeinträchtigt. Es hat sich damit keine Gefahr verwirklicht, die spezifisch mit den Arbeiten auf der „Deponie“ verbunden waren. Vielmehr hat sich durch den Unfall nur bloß eine allgemeine mit dem Straßenverkehr verbundene Gefahr verwirklicht. Arbeiten „auf oder neben der Straße“ lagen nicht vor.

 

Der bloße Umstand, dass sich durch den Transport des Schwemmmaterials zur „Deponie“ die Frequenz von LKW auf der Bundesstraße und die Abbiegevorgänge zum Güterweg erhöhten, reicht für die Anwendung des § 90 Abs 1 StVO nicht aus. Die von der Beklagten vorgenommenen Aufschüttungsarbeiten haben nämlich keine Verkehrsbehinderungen nach sich gezogen, die mit dem Unfall im (unmittelbaren) Zusammenhang stehen. Vielmehr hat sich der Verkehrsunfall ausschließlich iZm einem gem der StVO ordnungsgemäß durchgeführten Abbiegevorgang ereignet. Mit abbiegenden Fahrzeugen muss auf einer Bundesstraße aber immer gerechnet werden. Der Kläger wäre verpflichtet gewesen, auf Sicht zu fahren.

 

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass von § 90 StVO nicht jegliche mittelbaren Auswirkungen von Arbeiten auf den Straßenverkehr umfasst sind, findet auch Deckung in der Rsp zu § 90 StVO iVm § 32 Abs 6 ZPO. Demnach trifft einen Bauführer, der Arbeiten auf oder neben einer Straße ausführt, eine Verkehrssicherungspflicht zur Kennzeichnung und Absicherung der Baustelle. Daraus kann für den hier zu beurteilenden Fall aber nicht abgeleitet werden, dass auch ein Zufahrtsweg zur Baustelle (hier: „Deponie“) abgesichert hätte werden müssen. Dem Berufungsgericht ist damit zuzustimmen, dass § 90 Abs 1 StVO nur dann anzuwenden ist, wenn sich die Baustelle odgl unmittelbar auf oder neben der Straße befindet.

 

Die Klage kann auch nicht auf den Umstand gestützt werden, dass die Beklagte den zweiten Bescheid nicht abgewartet hat. Wohl verstößt auch ein Bauführer, der es unterlässt, die Bewilligung der Behörde gem § 90 StVO einzuholen, gegen ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB. Ein solcher Verstoß setzt notwendigerweise aber den Anwendungsbereich des § 90 StVO voraus, was aber bei dieser Unfallsstelle aufgrund der oben angeführten Erwägungen zu verneinen ist.

 

Auch abseits der Zulassungsfrage kann das Rechtsmittel keinen haftungsbegründenden Umstand aufzeigen. Mit der durch die Aufschüttung bedingten Notwendigkeit, dass der LKW mehrfach von der Bundesstraße auf den Güterweg zur „Deponie“ einbiegen musste, ist keine besondere von der Beklagten geschaffene Gefahrenquelle verbunden, die diese unter dem Gesichtspunkt von allgemeinen Verkehrssicherungspflichten zu besonderen Sicherungsmaßnahmen hätte veranlassen müssen.

 

Insoweit das Rechtsmittel auf „gefährliche Umstände“ hinweist (starker Bewuchs am Straßenrand, Sichteinschränkung, hohe Baustellenfrequenz durch schweres Gerät) findet das in den getroffenen Feststellungen keine Deckung. So betrug die Sichtweite zum Unfallszeitpunkt 105–115 Meter.

 

Ein Verstoß gegen allgemeine Verkehrssicherungspflichten liegt demnach nicht vor.