10.10.2023 Zivilrecht

OGH: Zur Verletzung zwingender Grundsätze der Nutzwertberechung (WEG)

Eine gerichtliche Festsetzung der Nutzwerte ist auch dann möglich, wenn die Liegenschaft von den Mit- und Wohnungseigentümern einvernehmlich so verändert wurde, dass die Nutzwertfestsetzung nicht mehr den zwingenden Berechnungsgrundsätzen entspricht; ein darauf gestützter Antrag ist nicht fristgebunden


Schlagworte: Wohnungseigentumsrecht, Nutzwert, Festsetzung, Neufestsetzung, zwingende Grundsätze, nachträgliche Veränderungen, Umbauten, einvernehmliche Widmungsänderung
Gesetze:

 

§ 2 WEG, §§ 8 ff WEG

 

GZ 5 Ob 233/22h, 19.07.2023

 

OGH: Nach stRsp bildet die Verletzung zwingender Grundsätze der Nutzwertberechung einen an keine Frist für die Geltendmachung gebundenen Grund für die gerichtliche (Neu-)Festsetzung der Nutzwerte, und zwar auch dann, wenn das Abweichen von diesen Grundsätzen durch eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse herbeigeführt wurde oder die der Nutzwertfestsetzung widersprechende Sach- und Rechtslage erst nachträglich hervorgekommen ist. Im Fall eines Verstoßes gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung konnte und kann die Neufestsetzung dabei ohne zeitliche Begrenzung und ohne Bagatellgrenze geltend gemacht werden. Mit § 9 Abs 2 Z 1 WEG wurde dieses bereits zum WEG 1975 entwickelte Antragsrecht ausdrücklich im Gesetz festgeschrieben.

 

Als Verstoß gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung hat die Rsp zB das Übergehen wohnungseigentumstauglicher Objekte, die Zuweisung eines Nutzwerts für allgemeine Teile der Liegenschaft, die Schaffung eines neuen Wohnungseigentumsobjekts „ohne Nutzwert“ oder auch die mit keiner baulichen Veränderung einhergehende Umwidmung allgemeiner Teile der Liegenschaft in Objekte, an denen Wohnungseigentum oder zumindest Zubehörwohnungseigentum bestehen soll, qualifiziert. Auch die falsche Einordnung in eine der wohnungseigentumsrechtlichen Kategorien (Wohnungseigentumsobjekt, Zubehör und allgemeine Teile der Liegenschaft; § 2 Abs 2 bis 4 WEG) ist ein solcher Verstoß. Gleiches gilt für die Änderung der (Zweck-)Widmung bzw Nutzungsart eines Wohnungseigentumsobjekts, etwa von Geschäftsraum auf Wohnung (§ 9 Abs 2 WEG).

 

Bloße Lese-, Mess- und/oder Rechenfehler oder Bewertungsfragen fallen hingegen nicht darunter, insbesondere nicht das Abweichen von veröffentlichten Empfehlungen für Zu- und Abschläge beim Nutzwertgutachten. Eine gerichtliche Festsetzung der Nutzwerte abweichend vom Nutzwertgutachten ist aber auch dann möglich, wenn die Liegenschaft von den Mit- und Wohnungseigentümern einvernehmlich so verändert wurde, dass die Nutzwertfestsetzung nicht mehr den zwingenden Berechnungsgrundsätzen entspricht; ein darauf gestützter Antrag auf Nutzwertberichtigung ist nicht fristgebunden.