OGH: § 273 ZPO – Festsetzung nach (freiem) Ermessen
Nur gravierende, an die Grenzen des Missbrauchs gehende Fehler der Ermessensentscheidung könnten auch in dritter Instanz noch über ein außerordentliches Rechtsmittel aufgegriffen und korrigiert werden
§ 273 ZPO
GZ 5 Ob 108/23b, 31.07.2023
OGH: Gem § 273 ZPO kommt dem Gericht die Befugnis zu, die Höhe des Anspruchs nach freier Überzeugung festzusetzen. Ob § 273 Abs 1 ZPO anzuwenden ist, ist eine Verfahrensfrage. Dabei entscheiden richterliche Erfahrung, allgemeine Lebenserfahrung oder auch die Zwischenergebnisse des bereits teilweise durchgeführten Beweisverfahrens. Die Anwendbarkeit richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, sodass einer solchen Entscheidung regelmäßig keine darüber hinausgehende Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt. Nur gravierende, an die Grenzen des Missbrauchs gehende Fehler der Ermessensentscheidung könnten auch in dritter Instanz noch über ein außerordentliches Rechtsmittel aufgegriffen und korrigiert werden. Dies ist hier nicht der Fall.
Das Berufungsgericht wendete bei der Position „Baustelleneinrichtung/Arbeitsplattform“ iHv insgesamt 137.808 EUR § 273 ZPO insoweit an, als es davon ausging, die Kosten der Arbeitsplattform seien nach allgemeiner Erfahrung nicht mit und ohne Grundbruch gleich hoch. Die Ausmittlung seines Prozentsatzes begründete es mit den bisherigen Ergebnissen des Beweisverfahrens.
Zwar fehlen nähere Feststellungen zur Position „Baustelleneinrichtung/Arbeitsplattform“ noch, sie sind auch nach Auffassung des Berufungsgerichts im Ausmaß des (noch offenen) Betrags von 90 % der gesamten Rechnungsposition erforderlich. Dessen ungeachtet ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht davon ausging, bei ursprünglicher Beauftragung wären die Kosten für die Baustelleneinrichtung/Arbeitsplattform um jedenfalls 10 % niedriger gewesen. Der hiezu geltend gemachte Mangel des Berufungsverfahrens liegt daher nicht vor, was keiner weiteren Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO).
Wenn auch die Bemessung nach § 273 ZPO selbst als rechtliche Beurteilung grundsätzlich revisibel ist, zeigt die Klägerin hier keinen korrekturbedürftigen Fehler der Ermessensentscheidung des Berufungsgerichts auf. Dem unter Hinweis auf das jeweilige Prozessvorbringen und die bisherigen Beweisergebnisse ermittelten Ausmaß von Sowiesokosten für die Arbeitsplattform von nicht höher als 90 % der tatsächlich verrechneten Rechnungsposition setzt die Klägerin nichts Substanzielles entgegen. Ihr Hinweis auf das Sachverständigengutachten greift zu kurz, weil dieses die Aufwendungen der Klägerin nur insoweit als auftragsgemäß und angemessen verrechnet beurteilte, als dies aufgrund der vorliegenden Unterlagen nachvollziehbar sei. Gerade zur Frage, in welchem Umfang die Kosten für die Arbeitsplattform tatsächlich Sowiesokosten sind, wird noch ein ergänzendes Beweisverfahren durchzuführen sein. Die Teilabweisung bezog sich nur auf das Vorbringen der Klägerin, die Plattform sei zwar ohne Grundbruch nicht zwingend notwendig gewesen, allerdings hätte es diesfalls Sowiesokosten wegen eines 5 Meter höheren Bohrniveaus und der Erschwernisse aufgrund beengter Verhältnisse bei der Bohrung im Schacht gegeben. Dass diese Sowiesokosten nicht die volle Höhe der verrechneten Position erreichen, stützte sich daher nicht auf die Ausführungen des Sachverständigen, sondern auf die allgemeine Erfahrung. Auch insoweit ist daher keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zu erkennen.