19.09.2023 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Legalzession nach § 332 Abs 1 ASVG

Leistungen, die der Sozialversicherungsträger auch unabhängig vom schädigenden Ereignis zu erbringen hätte, mangelt es von vornherein an Kongruenz mit dem Schadenersatzanspruch des Geschädigten


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Sozialversicherungsrecht, Ersatz von Behandlungskosten, Legalzession, Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers, Kongruenz, Selbstzahler
Gesetze:

 

§ 148 ASVG, § 332 ASVG

 

GZ 2 Ob 125/23f, 25.07.2023

 

OGH: Nach § 332 Abs 1 ASVG geht der Anspruch auf den Versicherungsträger insoweit über, als dieser Leistungen zu erbringen hat, wenn Personen, denen nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes Leistungen zustehen, den Ersatz des Schadens, der ihnen durch den Versicherungsfall erwachsen ist, aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften beanspruchen können. Der Anspruch umfasst auch die Aufwendungen des Landesgesundheitsfonds, die nach § 148 Z 2 ASVG von der Krankenanstalt in Rechnung gestellt werden.

 

Die Legalzession zu Gunsten des Sozialversicherungsträgers verfolgt einerseits den Zweck, eine doppelte Befriedigung des Geschädigten (durch Kumulation der Leistungen), andererseits aber auch eine Entlastung des Schädigers (durch Anrechnung der Versicherungsleistung als Vorteil) zu verhindern. Voraussetzung für die Annahme einer Legalzession ist (ua) das Vorliegen sachlicher Kongruenz, die dann zu bejahen ist, wenn der Ausgleichszweck des Sozialversicherungsanspruchs und des Schadenersatzanspruchs identisch sind, wenn also beide Ansprüche darauf abzielen, denselben Schaden zu decken. Die Legalzession kann also nur solche Ansprüche erfassen, die der Deckung eines Schadens dienen, den auch die Sozialversicherungsleistung abdecken soll. Leistungen, die der Sozialversicherungsträger auch unabhängig vom schädigenden Ereignis zu erbringen hätte, mangelt es daher von vornherein an Kongruenz mit dem Schadenersatzanspruch des Geschädigten.

 

Im vorliegenden Fall liegt das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten der Beklagten darin, dass sie eine medizinisch gebotene Behandlung des Klägers unterlassen hat, was dessen aufgrund der Erkrankung an spinaler Muskelatrophie ohnehin sehr fragilen Gesundheitszustand gefährdete. Der mit dem Beginn der Krankheit anzusetzende Versicherungsfall in der Krankenversicherung trat jedoch unabhängig von diesem rechtswidrig schuldhaften Verhalten der Beklagten ein, weil der Kläger bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Behandlungsvertrags mit der Beklagten an spinaler Muskelatrophie erkrankt war. Daher ist hier die Kongruenz zu Kosten der Behandlung mit einem bestimmten Medikament zu verneinen, weil die Sozialversicherung die Leistung unabhängig vom schädigenden Verhalten der Beklagten zu erbringen hatte. Selbst wenn dem Kläger die Behandlungskosten zu Unrecht als Selbstzahler vorgeschrieben worden sein sollten, änderte dies nichts daran, dass er tatsächlich Aufwendungen in dieser Höhe zur Abwehr gesundheitlicher Schädigung zu tragen hatte und insoweit ein Schadenseintritt jedenfalls zu bejahen ist.