OGH: Zum Ruhen des Unterhaltsanspruchs bei Lebensgemeinschaft
Partner, bei denen die äußeren Umstände das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft vermuten lassen, trifft eine Offenlegungspflicht hinsichtlich ihrer inneren Einstellung und einer über eine intime Beziehung hinausgehenden Bindung; dabei handelt es sich um eine Frage der Beweislastverteilung
§ 91 ABGB, § 66 EheG
GZ 4 Ob 17/23p, 27.06.2023
OGH: Der Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehepartners ruht für die Dauer einer Lebensgemeinschaft. Zu deren Wesen gehört neben der Wohnungsgemeinschaft idR wiederkehrender Geschlechtsverkehr, wogegen die Wirtschaftsgemeinschaft nicht unbedingt bestehen muss und andererseits allein auch nicht genügt. Die Parteien müssen sich jedoch im Kampf gegen alle Nöte des Lebens beistehen und daher auch gemeinsam an den zur Bestreitung des Unterhalts verfügbaren Gütern teilhaben. Wesentlich ist überdies eine aus einer seelischen Gemeinschaft und dem Zusammengehörigkeitsgefühl heraus entstandene Bindung. Für das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft spielen neben der Eheähnlichkeit aber auch eine gewisse Dauer, auf die sie eingerichtet ist, und das Zusammenspiel der Elemente Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft eine Rolle, wobei anerkannt ist, dass iSe beweglichen Systems nicht stets alle 3 Merkmale vorhanden sein müssen; vielmehr kann das Fehlen eines Kriteriums durch das Vorliegen der anderen stets ausgeglichen werden, wobei aber immer die Umstände des Einzelfalls entscheidend sind.
Hier hatte die Klägerin mit einem Mann während 2 bis 3 Monaten ein Verhältnis mit mehrmaligen sexuellen Begegnungen; seitdem ist das Verhältnis freundschaftlich, ohne Zärtlichkeiten oder sexuelle Kontakte, mit regelmäßigen, in ihrer Häufigkeit aber variierenden Besuchen zum gemeinsamen Zeitvertreib, Kaffeetrinken, Kartenspielen oder Tratschen. Der Mann ist der zu 80 % invaliden Klägerin im Haushalt und bei ihren (von ihr selbst bezahlten) Einkäufen behilflich. Die beiden haben jeweils eigene Wohnungen, die Beklagte zahlt für ihre Wohnung selbst und wird vom Mann nicht unterstützt. Wenn dieser bei der Klägerin übernachtete, schliefen beide in getrennten Räumen. Über Schlüssel zur Wohnung der Klägerin verfügte er nicht ständig, sondern nur anlassbezogen.
Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass sich aus diesen Feststellungen keine Lebensgemeinschaft ableiten lasse, weil weder Geschlechts- noch Wohngemeinschaft und auch kein hinreichend zu einer Wirtschaftsgemeinschaft verdichtetes gemeinsames Wirtschaften vorliegt, hält sich im Rahmen der Rsp. Zwar trifft Partner, bei denen die äußeren Umstände das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft vermuten lassen, eine Offenlegungspflicht hinsichtlich ihrer inneren Einstellung und einer über eine intime Beziehung hinausgehenden Bindung, wobei es sich bei der Offenlegungspflicht um eine Frage der Beweislastverteilung handelt. Hier kommt es jedoch auf die innere Einstellung nicht an, weil die Vorinstanzen schon die äußeren Umstände einer Lebensgemeinschaft zumindest vertretbar verneinten.