21.08.2023 Verfahrensrecht

VwGH: Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt

Sofern weder ein Bescheid noch ein Vollstreckungsakt vorliegt, ist die mündliche Äußerung eines Verwaltungsorgans nur dann als Befehl zu werten, wenn sie nach den Umständen des Falles hinreichend deutlich als normative Anordnung zu erkennen ist; werden keine Zwangsmaßnahmen gesetzt oder angedroht oder müssen diese nicht zwangsläufig erwartet werden, so liegt keine vor den Verwaltungsgerichten bekämpfbare Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor; weil das Gesetz auf Befehle, also auf normative Anordnungen abstellt, sind behördliche Einladungen zu einem bestimmten Verhalten auch dann nicht tatbildlich, wenn der Einladung Folge geleistet wird; die subjektive Annahme einer Gehorsamspflicht ändert noch nichts am Charakter einer Aufforderung zum freiwilligen Mitwirken


Schlagworte: Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, Maßnahmenbeschwerde, Äußerung eines Verwaltungsorgans, Befehl, subjektive Annahme einer Gehorsamspflicht, freiwilliges Mitwirken
Gesetze:

 

Art 130 B-VG, Art 132 B-VG

 

GZ Ro 2021/02/0011, 15.06.2023

 

VwGH: Der VwGH hat in seiner Rsp festgehalten, dass der Rechtsbehelf der Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dem Zweck dient, eine Lücke im Rechtsschutzsystem zu schließen. Mit dieser Beschwerde sollten aber nicht Zweigleisigkeiten für die Verfolgung ein und desselben Rechts geschaffen werden. Was in einem Verwaltungsverfahren ausgetragen werden kann, kann daher nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein.

 

Nach stRsp des VwGH liegt ein Akt der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dann vor, wenn ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen einen individuell bestimmten Adressaten einen Befehl erteilt oder Zwang ausübt und damit unmittelbar – dh ohne vorangegangenen Bescheid - in subjektive Rechte des Betroffenen eingreift. Das ist im Allgemeinen dann der Fall, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwangs bei Nichtbefolgung eines Befehls droht. Es muss ein Verhalten vorliegen, das als Ausübung von „Zwangsgewalt“, zumindest aber als - spezifisch verstandene - Ausübung von „Befehlsgewalt“ gedeutet werden kann. Als unverzichtbares Merkmal eines Verwaltungsakts in der Form eines Befehls gilt, dass dem Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht wird. Liegt kein ausdrücklicher Befolgungsanspruch vor, so kommt es darauf an, ob bei objektiver Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel des Betroffenen bei Beurteilung des behördlichen Vorgehens in seiner Gesamtheit der Eindruck entstehen musste, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung mit ihrer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen ist.

 

Entscheidend ist daher nicht, welche weitere Vorgangsweise seitens der Beamten im Fall der Weigerung des Betroffenen beabsichtigt war, sofern die geplante Vorgangsweise nach außen hin nicht zum Ausdruck kam.

 

Sofern weder ein Bescheid noch ein Vollstreckungsakt vorliegt, ist die mündliche Äußerung eines Verwaltungsorgans nur dann als Befehl zu werten, wenn sie nach den Umständen des Falles hinreichend deutlich als normative Anordnung zu erkennen ist. Werden keine Zwangsmaßnahmen gesetzt oder angedroht oder müssen diese nicht zwangsläufig erwartet werden, so liegt keine vor den Verwaltungsgerichten bekämpfbare Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor. Weil das Gesetz auf Befehle, also auf normative Anordnungen abstellt, sind behördliche Einladungen zu einem bestimmten Verhalten auch dann nicht tatbildlich, wenn der Einladung Folge geleistet wird. Die subjektive Annahme einer Gehorsamspflicht ändert noch nichts am Charakter einer Aufforderung zum freiwilligen Mitwirken.

 

Bei der Frage, ob bei objektiver Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel des Betroffenen bei Beurteilung des behördlichen Vorgehens in seiner Gesamtheit der Eindruck entstehen musste, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung mit ihrer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen ist, handelt es sich um eine Rechtsfrage, die unter Berücksichtigung sämtlicher Begleitumstände des Einzelfalls zu lösen ist.

 

Das VwG begründete das Vorliegen einer normativen Anordnung vorwiegend damit, dass die Bediensteten der FMA nach deren eigener Rechtsauffassung den Zugang zu den Räumlichkeiten im Fall einer Weigerung mit Hilfe der Polizei hätten erzwingen können und die Bediensteten der FMA somit gegenüber der Mitarbeiterin der mitbeteiligten Partei keine Zweifel hätten aufkommen lassen, dass sie der Anordnung Folge zu leisten habe und diese Maßnahme im Fall einer Weigerung mittels Zwang durchgesetzt werden würde.

 

Damit übersieht es jedoch, dass es nach der dargestellten Rsp des VwGH weder auf die subjektive Annahme einer Gehorsamspflicht noch auf eine von den Beamten beabsichtigte - jedoch nicht nach außen hin kundgetane - weitere geplante Vorgangsweise ankommt. Den rechtlichen Erwägungen des VwG lässt sich nicht entnehmen, aufgrund welcher festgestellten konkreten Begleitumstände es davon ausgeht, dass objektiv aus dem Blickwinkel der Leiterin der internen Revision davon auszugehen gewesen sei, dass sich die Bediensteten der FMA für den Fall, dass ihnen der Zutritt verweigert wird, unverzüglich mit physischer Gewalt Zutritt zu den verschlossenen Räumlichkeiten der internen Revision verschaffen werden. Der vom VwG ins Treffen geführte Hinweis der FMA-Bediensteten auf ihre aufsichtsrechtliche Einsichtsberechtigung reicht für eine derartige Schlussfolgerung nicht aus, sind doch Einsichtsbefugnisse von deren Durchsetzungsmöglichkeiten zu unterscheiden.