15.08.2023 Zivilrecht

OGH: Zum Schutz der Ehewohnung

Hat das Mietverhältnis für die geschützte Wohnung durch unrechtmäßige Kündigung des verfügungsberechtigten Ehegatten geendet, so bleibt dem auf diese Wohnmöglichkeit angewiesenen Ehegatten nur ein Schadenersatzanspruch


Schlagworte: Eherecht, Schutz der Ehewohnung, Wohnungserhaltungsanspruch, unrechtmäßige Kündigung des verfügungsberechtigten Ehegatten, Schadenersatz
Gesetze:

 

§ 90 ABGB, § 97 ABGB

 

GZ 4 Ob 71/23d, 27.06.2023

 

OGH: Gem § 90 Abs 1 ABGB sind die Ehegatten einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft sowie zur Treue, zur anständigen Begegnung und zum Beistand verpflichtet. Der Pflichtenkatalog umfasst nach dem Gesetzestext ausdrücklich auch die Pflicht zum gemeinsamen Wohnen. Ist ein Ehegatte über die Wohnung, die der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Ehegatten dient, verfügungsberechtigt, so hat dieser nach § 97 ABGB einen Anspruch darauf, dass der verfügungsberechtigte Ehegatte alles unterlasse und vorkehre, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliere (familienrechtlicher Wohnungserhaltungsanspruch).

 

Dass die Klägerin die Wohnung vorübergehend verlassen hat, schadet hier nicht, weil von einer rechtmäßigen gesonderten Wohnungsnahme nach § 92 Abs 2 ABGB aus wichtigen persönlichen Gründen auszugehen ist. Nach Wegfall des Grundes für die gesonderte Wohnungsnahme lebt die Pflicht zum gemeinsamen Wohnen wieder auf. Der verbleibende Ehepartner darf die Ehewohnung in der Zwischenzeit nicht aufgeben, weil auch bei gesonderter Wohnungsnahme jeder Ehepartner das Recht behält, die Ehewohnung jederzeit und ohne Einholung der Zustimmung oder Gestattung durch den anderen Ehegatten zu betreten und zu benützen. Der Klägerin ist also beizupflichten, dass der Beklagte sowohl durch den Schlosstausch als auch durch die Befristung des Mietvertrags ohne Wissen der Klägerin gegen seine ehelichen Pflichten verstoßen hat.

 

Der Wohnungserhaltungsanspruch an der Ehewohnung nach § 97 ABGB setzt - wie der Name schon suggeriert - eine aufrechte Verfügungsberechtigung des anderen Ehegatten an der Wohnung voraus. Diese Verfügungsberechtigung kann auf Eigentum, Wohnungseigentum, persönlicher Dienstbarkeit, Baurecht, Bestandrecht, Leihe, Genossenschaftsrecht, Dienstrecht oder auf Bittleihe beruhen. Dem sich auf § 97 ABGB stützenden Ehegatten können dabei nie mehr Rechte eingeräumt werden, als dem anderen Ehegatten zustehen. Nach dem hier zu beurteilenden Sachverhalt ist der Beklagte nicht mehr Mieter der Wohnung, sodass die von der Klägerin begehrte Wiederherstellung der konkreten Wohnmöglichkeit von ihm nicht mehr bewirkt werden kann. Hat - wie hier - das Mietverhältnis für die geschützte Wohnung durch unrechtmäßige Kündigung des verfügungsberechtigten Ehegatten vor der erfolgreichen gerichtlichen Geltendmachung des Wohnungserhaltungsanspruchs geendet, so bleibt dem auf diese Wohnmöglichkeit angewiesenen Ehegatten nur ein Schadenersatzanspruch, etwa wegen des Aufwands für die Erlangung einer anderen Wohnmöglichkeit.