27.06.2023 Zivilrecht

OGH: Schenkung aus sittlicher Pflicht nach § 784 dritter Fall ABGB

Eine Schenkung, mit der einer sittlichen Pflicht entsprochen wurde, ist anzunehmen, wenn dazu eine besondere aus den konkreten Umständen des Falls erwachsene, in den Geboten der Sittlichkeit wurzelnde Verpflichtung des Schenkers bestand; maßgeblich dafür, ob die Schenkung in Erfüllung einer sittlichen Pflicht erfolgt ist, sind die persönlichen Beziehungen zwischen Geschenkgeber und Geschenknehmer sowie ihre Vermögens- und Lebensverhältnisse


Schlagworte: Erbrecht, Pflichtteilsrecht, Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen unter Lebenden, Schenkung aus sittlicher Pflicht
Gesetze:

 

§ 784 ABGB, § 781 ABGB

 

GZ 2 Ob 233/22m, 16.05.2023

OGH: Der allgemeine Begriff „sittliche Pflicht“ bedarf anhand konkreter Umstände einer Auslegung. Dabei kommt es grundsätzlich und für die verschiedensten Lebensbereiche auf die Anschauungen der redlichen und rechtsverbundenen Mitglieder der betroffenen Verkehrskreise an. Eine Schenkung, mit der einer sittlichen Pflicht entsprochen wurde, ist anzunehmen, wenn dazu eine besondere aus den konkreten Umständen des Falls erwachsene, in den Geboten der Sittlichkeit wurzelnde Verpflichtung des Schenkers bestand. Maßgeblich dafür, ob die Schenkung in Erfüllung einer sittlichen Pflicht erfolgt ist, sind die persönlichen Beziehungen zwischen Geschenkgeber und Geschenknehmer sowie ihre Vermögens- und Lebensverhältnisse. Ob nach diesen Kriterien eine Schenkung in Entsprechung einer sittlichen Pflicht (oder aus Gründen des Anstandes) vorliegt, lässt sich nur von Fall zu Fall entscheiden.

 

Im vorliegenden Fall hatte der Erblasser ein massives Eigeninteresse am Einzug des Klägers und dessen Familie in sein Haus. Er hätte es sonst nicht „halten“ können, somit es verkaufen oder vermieten und in eine billigere Wohnung übersiedeln müssen. Der Kläger kam dem Drängen seines Vaters, in dessen Haus einzuziehen und mit Frau und Kindern das erste Obergeschoß und den Dachboden zu nutzen, nur widerwillig nach, zumal er (auch finanzielle) Nachteile (fast 20 Jahre lange Zurückzahlung des Kredits für die sinnlos gewordenen Investitionen in die nach dem Einzug aufgegebene Genossenschaftswohnung) in Kauf nehmen musste. Er zahlte bis zum Auszug seiner Kinder 4/5, danach 2/3 der Betriebskosten des Hauses.

 

Ausgehend von dieser Sachlage sah das Berufungsgericht die Einräumung eines Wohnrechts als Schenkung aus sittlicher Pflicht an. Gegen diese Beurteilung führt der Revisionswerber nichts Stichhaltiges ins Treffen. Er legt in der Rechtsrüge nicht ausreichend dar, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts unrichtig sein sollte. Die Behauptung, die Betreuungsleistungen des Klägers gingen über die übliche Beistandspflicht nicht hinaus, ignoriert die Sachlage betreffend die Interessenlage der Beteiligten.