OGH: Zur Aufrechnung in der Insolvenz
Wenn der Insolvenzverwalter eine Aufrechnung bestreitet, ist die Entscheidung des Insolvenzgerichts Voraussetzung für die Zulässigkeit der Aufrechnung mit einer bedingten Forderung des Gläubigers
§§ 19 f IO, § 1358 ABGB
GZ 9 Ob 62/22s, 27.04.2023
OGH: Damit der Gläubiger in der Insolvenz des Schuldners aufrechnen kann, müssen einander die Forderungen gem § 19 Abs 1 IO bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechenbar gegenübergestanden sein. Im Insolvenzverfahren ist die Aufrechnung nach den §§ 19, 20 IO teilweise erleichtert, teilweise erschwert: Erleichtert wird sie durch § 19 Abs 2 IO, der es dem Gläubiger des Schuldners ermöglicht, in Situationen aufzurechnen, in denen er dies nach allgemeinem Zivilrecht nicht tun könnte. So kann mit bedingten oder betagten Forderungen (oder gegen solche) aufgerechnet werden und es schadet nicht, wenn die Forderung des Gläubigers nicht auf eine Geldleistung gerichtet ist.
In der Insolvenz des Hauptschuldners ist ein Bürge zur Aufrechnung gegen Forderungen des Schuldners auch mit seiner aufschiebend bedingten Regressforderung berechtigt, wenn nur das den Rückgriff begründende Rechtsgeschäft (die Bürgschaft) vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens außerhalb der Sechsmonatsfrist des § 20 Abs 2 IO begründet wurde oder bei späterer Begründung der Bürge von der Zahlungsunfähigkeit weder Kenntnis hatte oder Kenntnis haben musste. Bereits mit Eingehen der Bürgschaft erwirbt der Bürge einen gesetzlich bedingten Rückgriffsanspruch gegen den späteren Gemeinschuldner. Im Insolvenzrecht wird also unter Ableitung aus den §§ 17 und 20 IO ein „weiter“ Bedingungsbegriff vertreten und ein bloß potentieller Rückgriffsanspruch als existent erachtet. Außerhalb der vom Gesetzgeber in der IO geschaffenen (erleichterten) Aufrechnungsmöglichkeit mit einer bloß potentiellen (bedingten) Regressforderung setzt hingegen das Rückgriffsrecht nach § 1358 ABGB voraus, dass der Rückgriffsberechtigte bereits Zahlung geleistet hat, weil der Forderungsübergang erst mit der Zahlung eintritt.
Die Möglichkeit der Aufrechnung mit bedingten Aktivforderungen ist jedoch für die Masse riskant, weil sie das Insolvenzrisiko des Aufrechnungsberechtigten trägt, wenn die aufschiebende Bedingung nicht, oder die auflösende Bedingung sehr wohl eintritt. Um diesem Risiko für die Masse entgegenzutreten, ordnet das Gesetz in § 19 Abs 2 letzter S IO an, dass das Gericht die Zulässigkeit der Aufrechnung von einer Sicherheitsleistung abhängig machen kann. Dieser Sicherungszweck entfällt nicht durch die (behauptete) Inanspruchnahme der Beklagten durch die Bank oder mit Unterfertigung eines vollstreckbaren Notariatsakts. Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass das Sicherungsinteresse bis zur Zahlung durch den Bürgen bestehen muss, weil erst damit der Forderungsübergang unbedingt eintritt. Wenn der Insolvenzverwalter eine Aufrechnung bestreitet, ist die Entscheidung des Insolvenzgerichts Voraussetzung für die Zulässigkeit der Aufrechnung mit einer bedingten Forderung des Gläubigers; es obliegt dem Aufrechnungswerber, diese beim Insolvenzgericht zu beantragen.