20.06.2023 Zivilrecht

OGH: Verkehrsunfall eines bei Rotlicht in eine Kreuzung einfahrenden Einsatzfahrzeuges

Verschuldensteilung von 1 : 2 zu Gunsten eines unaufmerksamen PKW-Lenkers gegenüber dem Lenker eines Einsatzfahrzeuges, der entgegen § 26 StVO bei Rotlicht in eine Kreuzung einfährt


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Straßenverkehrsrecht, Verkehrsunfall, Vorrang, Einsatzfahrzeug, Verkehrsampel, Kreuzung, Rotlicht, unklare Verkehrslage, Verschuldensteilung
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 1304 ABGB, § 26 StVO, § 38 StVO

 

GZ 2 Ob 95/23v, 16.05.2023

 

OGH: Gem § 26 Abs 3 zweiter S StVO dürfen die Lenker von Einsatzfahrzeugen auch bei rotem Licht in eine Kreuzung einfahren, wenn sie vorher angehalten und sich überzeugt haben, dass sie hiebei nicht Menschen gefährden oder Sachen beschädigen. Hintergrund dieser Regelung war, dass es als unbefriedigend empfunden wurde, wenn Einsatzfahrzeuge selbst dann nicht bei rotem Licht einer Verkehrslichtsignalanlage eine Kreuzung passieren durften, sondern das Ende der Rotphase abwarten mussten, wenn diese - zB zur Nachtzeit - praktisch völlig leer war.

 

Nach den Mat und der Rsp ist Voraussetzung für ein Einfahren in eine Kreuzung trotz Rotlichts, dass die Fahrzeuglenker in jedem Fall vor dem Einfahren anhalten, um sich zu vergewissern, dass sie ohne Gefährdung anderer die Kreuzung durchfahren können. Der Lenker eines Einsatzfahrzeugs, der wegen Rotlichts anhalten muss, darf daher erst dann in die Kreuzung einfahren, wenn er sich überzeugt hat, dass hiebei nicht Menschen gefährdet oder Sachen beschädigt werden. Ein Vorrang gegenüber dem Querverkehr, für den grünes Licht gilt, kommt ihm nach der stRsp nicht zu.

 

Ausgehend davon ist hier dem Lenker des Rettungsfahrzeugs ein Verstoß gegen § 26 Abs 3 zweiter S StVO anzulasten: Zwar hielt er zunächst vor der Haltelinie gem § 38 Abs 5 an. Vor der Einfahrt in die Kreuzung entgegen dem Rotlicht hätte er aber sicher sein müssen (arg: „überzeugt“), die Kreuzung gefahrlos durchfahren zu können. Diese Überzeugung konnte er aber nach den Feststellungen gerade nicht gewinnen, weil er in seiner (ersten) Anhalteposition vor der Haltelinie aufgrund der Verbauungssituation praktisch überhaupt keine Sicht auf den Querverkehr hatte, weshalb er offenkundig zunächst auch nur in Schrittgeschwindigkeit weiterrollte. Auch aus seiner zweiten Anhalteposition konnte er das sich 54 m vor der späteren Unfallstelle auf dem mittleren Geradeausfahrstreifen annähernde Beklagtenfahrzeug (noch) nicht wahrnehmen. In Anbetracht der aus mehreren Fahrstreifen bestehenden Kreuzung und der nicht ausreichenden Sicht auf den Querverkehr hätte der Lenker des Rettungsfahrzeugs daher schon von einer Weiterfahrt (Einfahrt in die Kreuzung) aus der (ersten) Anhalteposition vor der Haltelinie Abstand nehmen müssen.

 

Allerdings hat der Beklagte das für ihn schon aus 54 m vor der Kollisionsstelle erkennbare Blaulicht des Einsatzfahrzeugs übersehen und die unklare Verkehrslage, die sich aufgrund der anderen angehaltenen Fahrzeuge trotz grünen Lichts ergab, nicht berücksichtigt, sodass eine Verschuldensteilung von 1 : 2 zu Gunsten des Beklagten angemessen erscheint.