19.06.2023 Verfahrensrecht

VwGH: Einbringen der Revision durch Anwalt via E-Mail um 15:27 an einem Mittwoch bei VwG Wien, dessen Amtsstunden bereits um 13:00 enden – minderer Grad des Versehens?

Einem berufsmäßigen Parteienvertreter obliegt es, sich mit den Schritten, die für die Übermittlung von Revisionsschriftsätzen an das VwG erforderlich sind, ausreichend vertraut zu machen; ein Rechtsanwalt hat sich derartige Informationen zu beschaffen


Schlagworte: Wiedereinsetzung, Einbringen außerhalb der Amtsstunden, Rechtsanwalt, unvorhergesehenes / unabwendbares Ereignis, Unkenntnis der Rechtslage, Rechtsirrtum, minderer Grad des Versehens
Gesetze:

 

§ 71 AVG, § 46 VwGG, § 13 AVG

 

GZ Ra 2021/01/0032, 27.04.2023

 

Der Revisionswerber erhob die vorliegende außerordentliche Revision, indem sein Rechtsvertreter diese am Mittwoch, den 16. Dezember 2020, um 15:27 Uhr per E-Mail an das VwG übersendete, das dort um 15:28 Uhr einlangte.

 

Zum Wiedereinsetzungsantrag bringt der Revisionswerber vor, dass es ihm „absolut unbekannt“ gewesen sei, dass eine Kundmachung des Präsidenten des VwG Wien die Amtsstunden derart einschränke, dass die Amtsstunden des VwG an einem Mittwoch (Werktags) bereits um 13:00 Uhr endeten. Die Tatsache, dass eine um 15:27 Uhr eingebrachte außerordentliche Revision „innerhalb der Frist nicht mehr rechtzeitig“ sei, stelle ein unvorhergesehenes Ereignis iSd § 71 AVG dar

 

VwGH: Zu dem sich angesichts der Verspätung der Revision als zulässig erweisenden Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist ist auszuführen, dass gem § 46 Abs 1 VwGG der Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen ist, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.Nach stRsp des VwGH ist der Begriff des minderen Grades des Versehens als leichte Fahrlässigkeit iSd § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber - oder sein Vertreter - darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben; dabei ist an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige und bisher noch nie an einem gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen; die Einhaltung der Rechtsmittelfristen erfordert von der Partei oder ihrem Vertreter größtmögliche Sorgfalt.

 

Nach ebenso stRsp des VwGH trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen.

 

Der ins Treffen geführte Wiedereinsetzungsgrund führt den Antrag schon deshalb nicht zum Erfolg, weil es einem berufsmäßigen Parteienvertreter obliegt, sich mit den Schritten, die für die Übermittlung von Revisionsschriftsätzen an das VwG erforderlich sind, ausreichend vertraut zu machen. Ein Rechtsanwalt hat sich derartige Informationen zu beschaffen. Die Unkenntnis der Rechtslage oder ein Rechtsirrtum eines berufsmäßigen Parteienvertreters für sich allein stellt kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, das die Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bilden könnte, dar.

 

Mit dem wiedergegebenen Antragsvorbringen wurde somit vom Revisionswerber nicht dargelegt, dass die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt eingehalten wurde sowie dass seinem Rechtsvertreter und damit ihm kein Verschulden an der Versäumung der Revisionsfrist oder ein lediglich minderer Grad des Versehens iSd § 46 Abs 1 zweiter Satz VwGG angelastet werden könne. Der Antrag auf Wiedereinsetzung war daher abzuweisen.