OGH: Zum Entstehen einer Dienstbarkeit bei Aufhebung der Eigentümeridentität
Das Bestehen einer zweiten Zugangsmöglichkeit kann bei Aufhebung der Eigentümeridentität das Entstehen einer offenkundigen Servitut nicht verhindern
§§ 472 ff ABGB, § 526 ABGB, § 1500 ABGB
GZ 5 Ob 30/23g, 18.04.2023
OGH: Bei Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, entsteht auch ohne Verbücherung unmittelbar durch den Übertragungsakt eine Dienstbarkeit. Offenkundigkeit ist anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Eigentumsübertragung die Inanspruchnahme der einen Liegenschaft zum Nutzen der anderen durch offenkundige Vorgänge, ersichtliche Anlagen oder Einrichtungen erkennbar ist oder der Erwerber davon positiv Kenntnis hat. Die Vertragsparteien können zwar ausdrücklich oder schlüssig etwas anderes vereinbaren und so das Entstehen einer Grunddienstbarkeit vertraglich ausschließen. Im Zweifel ist dies aber nicht anzunehmen. Dies gilt auch für den Fall der Teilung eines bisher einheitlichen Grundstücks und Übertragung eines (dann herrschenden oder dienenden) Grundstücksteils an einen Dritten.
Bei einem Erwerbsvorgang, mit dem die Eigentümeridentität aufgehoben wird, ist nach der Rsp grundsätzlich im Zweifel anzunehmen, dass ein bestehender Zustand aufrecht bleiben und eine „Eigentümerbefugnis“ zur konkreten weiteren Nutzung eines bestimmten Grundstreifens als Grunddienstbarkeit fortbestehen soll.
Eine Servitut besteht schon dann, wenn sie für das herrschende Grundstück nützlich und bequem ist; jeder auch nur einigermaßen ins Gewicht fallende Vorteil reicht für die Aufrechterhaltung des erworbenen Rechts aus. Die Servitut erlischt daher nur, wenn sie völlig zwecklos wird oder infolge Veränderung der Umstände dem herrschenden Gut keinen Vorteil mehr bringt; bei einer Wegeservitut wäre dies nur dann anzunehmen, wenn die zur Verfügung gestellte Straße nach Lage und Beschaffenheit vollen Ersatz für den dem Berechtigten zur Ausübung seines Geh- und Fahrtrechts benützten Servitutsweg bietet. Die Wegedienstbarkeit erlischt daher nicht schon deshalb, weil der Berechtigte seinen Grund über einen anderen Weg erreichen kann. Diese Grundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn es nicht um das Erlöschen einer Servitut geht, sondern wenn die (offenkundige) Dienstbarkeit für die Benützung der herrschenden Liegenschaft nach Maßgabe der seit vielen Jahren regelmäßig ausgeübten Nutzung weiterhin nützlich ist. Das Bestehen einer zweiten Zugangsmöglichkeit konnte demnach am Entstehen einer offenkundigen Servitut auch hier nichts ändern.