09.05.2023 Zivilrecht

OGH: § 3 HeimAufG – Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel

Dient der primäre Zweck des Medikamenteneinsatzes der Unterbindung von Unruhezuständen, des Bewegungsdrangs und der Beruhigung, also zur „Ruhigstellung“ (gegen Aggression, Enthemmung, Unruhe etc), dann ist die medikamentöse Therapie als Freiheitsbeschränkung zu qualifizieren


Schlagworte: Heimaufenthaltsrecht, Freiheitsbeschränkung, Medikamenteinsatz
Gesetze:

 

§ 3 HeimAufG

 

GZ 7 Ob 11/23b, 22.03.2023

 

OGH: Nach § 3 HeimAufG liegt eine Freiheitsbeschränkung iS dieses Bundesgesetzes vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person (Bewohner) gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Zwangsmitteln oder durch deren Anordnung unterbunden wird. In diesem Sinn liegt eine Freiheitsbeschränkung dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern.

 

Es kann nicht entscheidend sein, ob eine Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit durch physische Zwangsmittel wie Einsperren oder Festbinden des Bewohners oder durch pharmakologische Beeinflussung erfolgt, die eine massive Beschränkung der Bewegungsfreiheit bezweckt. Auch stark sedierende Mittel haben zur Folge, dass der Bewohner nicht mehr in der Lage ist, sich nach seinem freien Willen örtlich zu verändern.

 

Eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel ist dann zu bejahen, wenn die Behandlung unmittelbar, also primär die Unterbindung des Bewegungsdrangs bezweckt, nicht hingegen im Fall von unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen, die sich bei der Verfolgung therapeutischer Ziele ergeben können. Die Beurteilung, ob aus diesem Gesichtspunkt eine Freiheitsbeschränkung vorliegt, erfordert nach der oberstgerichtlichen Rsp Feststellungen darüber, 1. welchen therapeutischen Zweck die Anwendung der einzelnen der zu überprüfenden Medikamente verfolgt, 2. ob die Medikamente, insbesondere in der dem Bewohner verabreichten Dosierung und Kombination dieser Zweckbestimmung entsprechend eingesetzt wurden und werden und 3. welche konkrete Wirkung für den Bewohner mit dem Einsatz der Medikamente vorhanden war und ist.

 

Dient der primäre Zweck des Medikamenteneinsatzes der Unterbindung von Unruhezuständen, des Bewegungsdrangs und der Beruhigung, also zur „Ruhigstellung“ (gegen Aggression, Enthemmung, Unruhe etc), dann ist die medikamentöse Therapie als Freiheitsbeschränkung zu qualifizieren.

 

Der OGH hat aber bereits klargestellt, dass aus diesen Grundsätzen abzuleiten ist, dass auch iZm einem Medikament, das sedierend wirken soll, eine Freiheitsbeschränkung nur dann vorliegt, wenn beim betroffenen Bewohner ein Ausmaß an Beruhigung eintritt, das ihm eine Ortsveränderung unmöglich macht bzw erschwert, sei es, dass er körperlich nicht mehr oder nur mehr eingeschränkt zur Fortbewegung in der Lage ist, sei es, weil sein Impuls zur Fortbewegung verringert ist. Dies bedeutet, dass für das Vorliegen einer medikamentösen Freiheitsbeschränkung die intendierte Bewegungseinschränkung auch in einem feststellbaren Ausmaß eintreten muss.

 

Nach den den OGH bindenden Feststellungen tritt durch die gegenständlich verabreichten Medikamente keine sedierende Wirkung ein und der Bewegungsdrang wird nicht vermindert. Bereits aus diesem Grund liegt insoweit keine Freiheitsbeschränkung nach § 3 HeimAufG vor.