02.05.2023 Zivilrecht

OGH: Zur Haftung des Rechtsanwalts bei unterlassener objektiver Klagenhäufung

Es widerspricht nicht den Vorschriften der Prozessordnung, nebeneinander zwei Klagegründe geltend zu machen, die einander ausschließen, während jeder aber den gestellten Urteilsantrag rechtfertigt


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Anwaltshaftung, Rechtsanwalt, unterlassene Prozesshandlung, Einwendung, objektive Klagenhäufung, Betrug, Rückforderung, Schenkungswiderruf
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 1299 ABGB, § 227 ZPO, § 948 ABGB, § 146 StGB

 

GZ 6 Ob 60/22z, 24.03.2023

 

OGH: Liegt das Verschulden des RA in der Unterlassung einer Prozesshandlung, ist über einen daraus abgeleiteten Schadenersatzanspruch der Prozess - auch in den dort in Betracht gekommenen rechtlichen Erwägungen - hypothetisch nachzuvollziehen und zu beurteilen, wie er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geendet hätte, wenn die Prozesshandlung vorgenommen worden wäre. Die hypothetische Beurteilung des Verfahrensausgangs eines Vorprozesses ist - wenn die Tatsachengrundlagen wie hier unstrittig sind - eine Rechtsfrage. Zutreffend hat daher das Berufungsgericht geprüft, ob jenes Vorbringen, dessen Unterlassung der Kläger den Beklagten nun vorwirft, zu einem für den Kläger günstigeren Prozessausgang des Vorprozesses geführt hätte.

 

Das Berufungsgericht legte seiner Beurteilung erkennbar die Behauptungen des Klägers zugrunde, wonach der beklagte RA im Vorprozess das Vorbringen erstatten hätten müssen, dass die Schenkungen des Klägers - wenn und soweit die unbestrittenen Überweisungen als Schenkungen qualifiziert werden sollten - widerrufen werden und das Klagebegehren hilfsweise auf den Schenkungswiderruf gestützt werde. Das Berufungsgericht war jedoch der Auffassung, mit diesem Vorbringen hätte die für einen Erfolg im Vorprozess erforderliche kumulierte Klagenhäufung nicht ausreichend behauptet werden können. Dazu hätte vorgebracht werden müssen, die Geldbeträge zurückzufordern, weil es sich entweder um betrügerisch herausgelockte Überweisungen oder um Schenkungen gehandelt habe, die wegen groben Undanks widerrufen würden. Dem kann nicht beigetreten werden:

 

Bei der (zulässigen) sog kumulierten Klagenhäufung macht der Kläger unterschiedliche rechtserzeugende Tatsachen (Klagegründe) geltend, wobei jede für sich dem einheitlichen Urteilsbegehren insgesamt zum Erfolg verhelfen soll. Es widerspricht nicht den Vorschriften der Prozessordnung, nebeneinander zwei Klagegründe geltend zu machen, die einander ausschließen, während jeder aber den gestellten Urteilsantrag rechtfertigt. Dabei schadet es jedenfalls nicht, wenn der Kläger eine Reihung vornimmt. Auf den weiteren Rechtsgrund hat das Gericht bei Verneinung des vorhergehenden einzugehen. Hätte hier der beklagte RA im Vorprozess das vom Kläger gewünschte Vorbringen erstattet, hätte der Kläger im Vorprozess obsiegt. Denn es wäre dort bei jeder einzelnen Überweisung Betrug und Schenkungswiderruf zu prüfen gewesen. Da immer jeweils eine der beiden Sachverhaltsvarianten und für jede Variante auch eine Anspruchsgrundlage vorlagen, hätte ein Anspruchsgrund immer zum Zuspruch geführt.