OGH: Zur Streitanhängigkeit
Beim Begehren auf Erlassung eines Übergabsauftrags, mit dem die Übergabe des Bestandobjekts zum vereinbarten Endtermin begehrt wird, und bei jenem einer Räumungsklage, mit der die sofortige Räumung begehrt wird, handelt es sich um verschiedenartige Begehren
§ 204 ZPO, §§ 232 f ZPO, § 237 ZPO, § 560 ZPO, § 567 ZPO
GZ 2 Ob 237/22z, 17.01.2023
OGH: Die Zurücknahme der Klage unter Verzicht auf den Anspruch stellt nach stRsp (nur) dann ein Prozesshindernis dar, wenn die Parteien und der Streitgegenstand im Vorprozess und im Folgeverfahren ident sind. Die Annahme von Streitanhängigkeit setzt neben der Identität der Parteien auch jene der Ansprüche in beiden Prozessen voraus. Streitanhängigkeit liegt nach der herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie (nur) dann vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte Anspruch sowohl im Begehren als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des Vorprozesses übereinstimmt.
Ausgehend davon verneint die Rsp das Vorliegen von Streitanhängigkeit zwischen einer gerichtlichen Aufkündigung und einer dasselbe Bestandobjekt betreffenden Räumungsklage. Dies ergebe sich schon aus der Verschiedenartigkeit der Begehren, bezweckt doch die Räumungsklage die sofortige Räumung des Bestandobjekts, während die Aufkündigung auf Übergabe des Bestandobjekts zu einem bestimmten Zeitpunkt (unter Einhaltung einer Kündigungsfrist) abzielt. Diese Erwägungen lassen sich auch auf den hier zu beurteilenden Fall übertragen:
Die Erlassung eines - verfahrensrechtlich die gleiche Funktion wie eine gerichtliche Kündigung erfüllenden - Übergabsauftrags nach § 567 ZPO kommt nur bei befristeten Bestandverträgen in Betracht, die ohne vorangegangene Aufkündigung allein durch den Ablauf der Bestanddauer enden. Der Übergabsauftrag kann auch nur vor, nicht aber erst nach Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer beantragt werden. Unterbleibt die (fristgerechte) Beantragung der Erlassung eines Übergabsauftrags, hat der Bestandgeber die Möglichkeit zur Einbringung einer Räumungsklage.
Zutreffend verweist die Klägerin darauf, dass es sich beim Begehren auf Erlassung eines Übergabsauftrags, mit dem die Übergabe des Bestandobjekts zum vereinbarten Endtermin begehrt wird, und bei jenem einer Räumungsklage, mit der die sofortige Räumung begehrt wird, um verschiedenartige Begehren handelt. Während das erste die Behauptung eines in der Zukunft liegenden Endtermins voraussetzt, ist dies beim zweiten nicht der Fall. Dazu kommt, dass sich die Klägerin im Vorprozess nur auf ihre Stellung als Vermieterin, im vorliegenden Verfahren aber auf jene als (bücherliche) Eigentümerin berief, also einen unterschiedlichen rechtserzeugenden Sachverhalt vortrug. Insgesamt liegt damit kein identer Streitgegenstand im Vorprozess und im nunmehrigen Verfahren vor.