09.01.2023 Sozialrecht

VwGH: Familienbeihilfe – zur Frage, ob sich das Kind für die Anwendung des Verlängerungstatbestandes des § 2 Abs 1 lit g FLAG im Monat der Vollendung des 24. Lebensjahres in einer Berufsausbildung befinden muss und ob die Verlängerungstatbestände der § 2 Abs 1 lit i und k FLAG analog anzuwenden sind

Mit der Bestimmung des § 2 Abs 1 lit g FLAG hat der Gesetzgeber - wenn auch in typisierender Weise - darauf Bedacht genommen, dass die Zeit der Ableistung des Präsenz-, Ausbildungs- oder Zivildienstes einem Kind für Zwecke der Berufsausbildung fehlt; die insgesamt zur Verfügung stehende Zeitspanne, in der ein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehen kann (nach der geltenden Rechtslage bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres), ist somit in diesen Fällen kürzer, zumal nach der stRsp des VwGH die Ableistung des Präsenz- oder Zivildienstes eine allfällige Ausbildung des Kindes unterbricht, nicht als Berufsausbildung iSd § 2 Abs 1 lit b FLAG anzusehen ist und daher während der Leistung dieses Dienstes - auch wenn in dieser Zeit gleichzeitig die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 lit b FLAG erfüllt sein sollten - kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht; diese fehlende Ausbildungszeit wird durch die Verlängerung der Anspruchsdauer bis zur Vollendung des 25.Lebensjahres kompensiert; vor diesem Hintergrund wird die in der Amtsrevision vertretene Rechtsansicht, die Verlängerung der Anspruchsdauer trete in analoger Anwendung der Bestimmungen der § 2 Abs 1 lit i und k FLAG nur ein, wenn sich das Kind im Zeitpunkt der Vollendung des 24. Lebensjahres in Berufsausbildung befinde, vom VwGH nicht geteilt


Schlagworte: Familienbeihilfe, Präsenz- oder Ausbildungsdienst / Zivildienst, Berufsausbildung
Gesetze:

 

§ 2 FLAG

 

GZ Ra 2021/16/0052, 18.10.2022

 

VwGH: Der VwGH hat sich im Erkenntnis vom 29. Mai 2013, 2010/16/0108, auf das in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausführlich mit der Genese der gegenständlich strittigen Bestimmung des § 2 Abs 1 lit g FLAG beschäftigt. Unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien wurde ausgeführt, die mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl Nr 201, aus Anlass der Herabsetzung der Altersgrenze für den Bezug der Familienbeihilfe vom vollendeten 27. Lebensjahr auf das vollendete 26. Lebensjahr eingeführte Bestimmung sollte sicherstellen, dass Zeiten des Präsenz- oder Zivildienstes auch nach Vollendung des 26. Lebensjahres berücksichtigt werden, wenn sich das Kind weiterhin in Berufsausbildung befinde. Dementsprechend bestand der Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem damaligen Wortlaut dieser Bestimmung „für volljährige Kinder, die sich in dem Monat, in dem sie das 26. Lebensjahr vollenden, in Berufsausbildung befinden und die den Präsenz- oder Zivildienst geleistet haben, bis längstens zur Vollendung des 27. Lebensjahres“. Die vom revisionswerbenden Finanzamt vertretene Rechtsansicht - wonach die Verlängerung der Anspruchsdauer nur eintritt, wenn sich das Kind im Zeitpunkt der Vollendung des relevanten Lebensjahres in Berufsausbildung befindet - findet daher im damaligen Wortlaut der Bestimmung Deckung.

 

Die Bestimmung des § 2 Abs 1 lit g FLAG wurde allerdings mit dem Bundesgesetz BGBl I Nr 23/1999 neu gefasst. Nach dieser Fassung - die, abgesehen von der mit dem Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl I Nr 111/2010, abermals abgesenkten Altersgrenze, jener entspricht, die in den im Revisionsfall relevanten Zeiträumen in Geltung stand - bestand der Anspruch auf Familienbeihilfe „für volljährige Kinder, die in dem Monat, in dem sie das 26. Lebensjahr vollenden, den Präsenz- oder Ausbildungsdienst oder Zivildienst leisten oder davor geleistet haben, bis längstens zur Vollendung des 27. Lebensjahres, sofern sie nach Ableistung des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes oder Zivildienstes für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist“. Mit dieser Änderung sollte eine „Korrektur von Einzelfällen für Präsenz- und Zivildiener“ erreicht werden.

 

Wie der VwGH im eingangs zitierten Erkenntnis ausgeführt hat, ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des § 2 Abs 1 lit g FLAG - in der Zusammenschau mit der Bestimmung des § 19 des Studienförderungsgesetzes 1992 sowie den Bestimmungen des (damaligen) Wehrgesetzes 1990 und des Zivildienstgesetzes 1986 - zunächst, dass der Gesetzgeber die Verlängerung der Anspruchsdauer der Familienbeihilfe deshalb vorgesehen hat, weil für die Dauer der Ableistung des Präsenz-, Ausbildungs- oder Zivildienstes das wehrpflichtige (bzw freiwillig den Ausbildungsdienst leistende) Kind idR daran gehindert ist, diese Zeit erfolgreich für eine Berufsausbildung zu nutzen. Um nicht auf die jeweilige – unterschiedliche - Dauer des Präsenz-, Ausbildungs- oder Zivildienstes (damals Grundwehrdienst von sechs oder acht Monaten, Zivildienst von elf Monaten, Ausbildungsdienst von zwölf Monaten) abstellen zu müssen, hat der Gesetzgeber in typisierender Erfassung der Sachverhaltsmöglichkeiten eine generelle Verlängerung der Anspruchsdauer für die Familienbeihilfe um ein Jahr (damals von der Vollendung des 26. bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres) vorgesehen.

 

Mit der Bestimmung des § 2 Abs 1 lit g FLAG hat der Gesetzgeber somit - wenn auch in typisierender Weise - darauf Bedacht genommen, dass die Zeit der Ableistung des Präsenz-, Ausbildungs- oder Zivildienstes einem Kind für Zwecke der Berufsausbildung fehlt. Die insgesamt zur Verfügung stehende Zeitspanne, in der ein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehen kann (nach der geltenden Rechtslage bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres), ist somit in diesen Fällen kürzer, zumal nach der stRsp des VwGH die Ableistung des Präsenz- oder Zivildienstes eine allfällige Ausbildung des Kindes unterbricht, nicht als Berufsausbildung iSd § 2 Abs 1 lit b FLAG anzusehen ist und daher während der Leistung dieses Dienstes - auch wenn in dieser Zeit gleichzeitig die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 lit b FLAG erfüllt sein sollten - kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht. Diese fehlende Ausbildungszeit wird durch die Verlängerung der Anspruchsdauer bis zur Vollendung des 25.Lebensjahres kompensiert.

 

Vor diesem Hintergrund wird die in der Amtsrevision vertretene Rechtsansicht, die Verlängerung der Anspruchsdauer trete in analoger Anwendung der Bestimmungen der § 2 Abs 1 lit i und k FLAG nur ein, wenn sich das Kind im Zeitpunkt der Vollendung des 24. Lebensjahres in Berufsausbildung befinde, vom VwGH nicht geteilt. Während die - mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 eingeführte - Stammfassung des § 2 Abs 1 lit g FLAG explizit darauf abgestellt hat, dass sich die Kinder „in dem Monat, in dem sie das 26. Lebensjahr vollenden, in Berufsausbildung befinden“ wurde diese Voraussetzung mit der - mit dem BGBl I Nr 23/1999 eingeführten - Neufassung dieser Bestimmung gestrichen. Nunmehr setzt die Anwendbarkeit der Bestimmung lediglich voraus, dass Kinder „in dem Monat, in dem sie das 24. Lebensjahr vollenden, den Präsenz- oder Ausbildungsdienst oder Zivildienst leisten oder davor geleistet haben“. Ist das der Fall und werden sie „nach Ableistung des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes oder Zivildienstes für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet“, greift die Verlängerung der Anspruchsdauer.

 

Es besteht kein Anlass anzunehmen, dass der Gesetzgeber trotz Änderung des - in dieser Hinsicht - klaren Gesetzeswortlautes, eine zuvor explizit vorgesehene Voraussetzung für die Verlängerung des Anspruchszeitraumes beibehalten wollte. Eine derartige Annahme würde auch dem mit dieser Bestimmung verfolgten Ziel - die Sicherstellung, dass Kindern, die den Präsenz-, Ausbildungs- oder Zivildienst abgeleistet haben, in typisierender Betrachtungsweise dieselbe Zeitspanne für eine Berufsausbildung zur Verfügung steht, wie jenen Kindern, die diese Dienste nicht ableisten (müssen)- entgegenstehen: Die Zeit, in der die genannten Dienste abgeleistet werden, „fehlt“ den betroffenen Kindern unabhängig davon, ob die nachfolgende Berufsausbildung vor oder nach Vollendung des 24. Lebensjahres aufgenommen wird.

 

Diese Sichtweise findet auch darin Bestätigung, dass die mit dem Bundesgesetz BGBl I Nr 8/1998 eingeführte und gem § 50j Abs 1 FLAG rückwirkend mit 1. Oktober 1996 in Kraft gesetzte Bestimmung des § 2 Abs 1 lit i FLAG - die nach Rechtsansicht des revisionswerbenden Finanzamtes analog anzuwenden sei - ebenso wie die Stammfassung des § 2 Abs 1 lit g FLAG explizit darauf abstellte, dass sich Kinder „in dem Monat, in dem sie das 26. Lebensjahr vollenden, in Berufsausbildung befinden“, diese Bestimmung jedoch trotz Neufassung des § 2 Abs 1 lit g FLAG unverändert geblieben ist, abgesehen von der Absenkung des relevanten Lebensjahres.

 

Da im Hinblick auf die Anwendbarkeit der im vorliegenden Revisionsfall strittigen Bestimmung des § 2 Abs 1 lit g FLAG insoweit keine durch Analogie zu schließende Lücke vorliegt, scheidet eine analoge Anwendung der vom revisionswerbenden Finanzamt angeführten Bestimmungen des FLAG aus.