13.12.2022 Zivilrecht

OGH: Zum Rechtfertigungsgrund des § 1330 Abs 2 S 3 ABGB

Es ist auch legitim, gegen den Prozessgegner oder einen Zeugen über ein Bestreiten der gegen den Äußernden im Zivil- oder Strafverfahren erhobenen Vorwürfe hinausgehende ehrenrührige Anschuldigungen zu erheben, die dessen Glaubwürdigkeit erschüttern sollen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Ehrverletzung, Unterlassungsanspruch, Rechtfertigungsgrund, nicht öffentlich vorgebrachte Mitteilung, Unwahrheit, Unkenntnis, Verschulden, Wissentlichkeit, Strafanzeige
Gesetze:

 

§ 1330 ABGB, § 80 StPO

 

GZ 6 Ob 227/21g, 18.11.2022

 

OGH: Gem § 1330 Abs 2 S 3 ABGB haftet der Mitteilende nicht für eine nicht öffentlich vorgebrachte Mitteilung, deren Unwahrheit er nicht kennt, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte. Entscheidend für die Haftungsbefreiung für nicht öffentlich getätigte rufschädigende Äußerungen gegenüber einem Dritten ist, ob der Mitteilende mit der vertraulichen Behandlung durch den oder die Mitteilungsempfänger rechnen konnte. Die Vertraulichkeit ist nicht gegeben, wenn mit der Weitergabe an eine außenstehende Person gerechnet werden muss. Hingegen ist mit einer vertraulichen Behandlung insbesondere durch Institutionen zu rechnen, die einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen.

 

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind nach stRsp Straf- und Disziplinaranzeigen oder sonstige vertrauliche Mitteilungen an die sachlich zuständigen, zur gewissenhaften Nachprüfung der Angaben verpflichteten Stellen grundsätzlich gerechtfertigt, wenn sie nicht wider besseres Wissen erfolgten. Es wird generell bei Anzeigen an (sachlich zuständige) Behörden ein berechtigtes Interesse angenommen, damit diese bedenkliche Sachverhalte überprüfen können. Der Rechtfertigungsgrund gilt auch für Prozessvorbringen von Verfahrensparteien oder Partei- und Zeugenaussagen. Darunter fällt etwa auch jedes Vorbringen, das ohne Anlegen eines strengen Maßstabs aus der Sicht eines verständigen Beobachters in der Rolle der Prozesspartei der Aufklärung der Sache dienlich und zur Durchsetzung des eigenen Rechtsstandpunkts zweckmäßig sein kann. In diesem Rahmen ist es auch legitim, über ein Bestreiten der gegen den Äußernden im Zivil- oder Strafverfahren erhobenen Vorwürfe hinausgehende ehrenrührige Anschuldigungen gegen den Prozessgegner oder einen Zeugen zu erheben, die dessen Glaubwürdigkeit erschüttern sollen.

 

Die Haftungsbefreiung kommt allerdings nicht zur Anwendung, wenn Behauptungen wider besseres Wissen und insofern rechtsmissbräuchlich erhoben wurden. Maßgeblich dafür ist nicht, ob der Täter die Unrichtigkeit hätte kennen müssen; es kommt vielmehr auf sein konkretes Wissen von der Unrichtigkeit an. Die Beweislast für die Kenntnis der Unwahrheit trifft den Kläger. Die Klage ist daher abzuweisen, wenn der Täter zwar den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder gar nicht angetreten hat, die Unwahrheit jedoch nicht wider besseres Wissen behauptet hat. Die Rsp wendet die dargestellten Rechtsgrundsätze im Interesse eines Gleichklangs der beiden Absätze des § 1330 ABGB auch auf bloße Ehrenbeleidigungen an, wobei hier die inkriminierten Vorwürfe ohnehin auch unter § 1330 Abs 2 ABGB zu subsumieren sind.