VwGH: Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit iSd § 5 Abs 1 StVO iZm einer im niedrigen Bereich gelegenen THC-Konzentration im Blut?
Das Vorliegen der Kombination der Faktoren Übermüdung und Suchtgiftkonsum, sei dieser auch geringfügig, reicht für die Annahme der Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit iSd § 5 Abs 1 StVO aus; werden hingegen neben dem sich aus einer Blutuntersuchung ergebenden Konsum von potentiell beeinträchtigenden Substanzen iSd § 5 Abs 1 StVO weitere mögliche Ursachen für die im Rahmen der klinischen Untersuchung festgestellte Fahruntüchtigkeit ausgeschlossen, so ist zu klären, ob dieser für sich genommen zu einer Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit zum Zeitpunkt des Lenkens geführt hat
§ 5 StVO, § 99 StVO
GZ Ra 2022/02/0164, 24.10.2022
VwGH: Nach § 5 Abs 1 erster Satz StVO darf ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen, wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet.
Nach der Rsp des VwGH liegt die Bedeutung der klinischen Untersuchung in der Feststellung, ob der Lenker fahrtüchtig ist und kann durch eine solche eine Beeinträchtigung, die auf eine Suchtgifteinnahme schließen lässt, festgestellt werden. Ob die Beeinträchtigung des Lenkers tatsächlich auf Suchtgift (oder Alkohol) zurückzuführen ist oder eine sonstige Fahruntüchtigkeit gem § 58 Abs 1 StVO vorliegt, ist jedoch - abgesehen von den Fällen der Verweigerung - anhand der Blutuntersuchung festzustellen.
Ein Grenzwert, bei dem jedenfalls eine zur Fahruntauglichkeit führende Beeinträchtigung durch Suchtgift anzunehmen ist (wie dies bei der Frage der Beeinträchtigung durch Alkohol der Fall ist), oder eine Ausnahme für Suchtgifte, bei denen keine Beeinträchtigung iSd § 5 Abs 1 StVO anzunehmen ist, wurde vom Gesetzgeber nicht festgelegt.
Ist die Fahruntüchtigkeit nicht allein auf die Beeinträchtigung durch Suchtgift, sondern noch auf weitere Ursachen (wie etwa Übermüdung, Krankheit, Medikamenteneinnahme) zurückzuführen, ist die Strafbarkeit nach § 5 Abs 1 StVO auch dann gegeben, wenn die konsumierte Suchtgiftmenge für sich alleine noch keine Fahruntüchtigkeit bewirkt hätte. Das Vorliegen der Kombination der Faktoren Übermüdung und Suchtgiftkonsum, sei dieser auch geringfügig, reicht für die Annahme der Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit iSd § 5 Abs 1 StVO aus.
Werden hingegen neben dem sich aus einer Blutuntersuchung ergebenden Konsum von potentiell beeinträchtigenden Substanzen iSd § 5 Abs 1 StVO weitere mögliche Ursachen für die im Rahmen der klinischen Untersuchung festgestellte Fahruntüchtigkeit ausgeschlossen, so ist zu klären, ob dieser für sich genommen zu einer Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit zum Zeitpunkt des Lenkens geführt hat.
Dies gilt auch dann, wenn die festgestellte Suchtgiftkonzentration im Blut des Probanden im niedrigen Bereich gelegen ist, zumal der VwGH bereits festgehalten hat, dass für eine unterschiedliche Behandlung einer Beeinträchtigung durch Suchtgift und einer Beeinträchtigung durch Alkohol kein Anlass besteht. Der Tatbestand des § 5 Abs 1 StVO ist im Hinblick auf den Konsum von Alkohol nun eben nicht nur bei Vorliegen bzw Überschreitung der im zweiten Satz dieser Bestimmung genannten Werte als erfüllt anzusehen, sondern zufolge des ersten Satzes auch - und zwar unabhängig von der Höhe des Alkoholgehaltes des Blutes bzw der Atemluft - bei Vorliegen einer derartigen Beeinträchtigung durch Alkohol, bei der der Lenker infolge seiner körperlichen und geistigen Verfassung ein Fahrzeug nicht zu beherrschen oder die beim Lenken eines Fahrzeuges zu beachtenden Rechtsvorschriften nicht zu befolgen vermag.
Im vorliegenden Fall wurde die Frage, ob die Fahrtüchtigkeit des Mitbeteiligten zum Zeitpunkt des Lenkens durch die festgestellte THC-Konzentration in seinem Blut beeinträchtigt war, in dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten toxikologischen Gutachten vom 1. Februar 2022 nicht abschließend beantwortet. Eine solche Beeinträchtigung wurde zwar für möglich gehalten, zugleich wurde jedoch im Hinblick auf den tatsächlichen Grad der Beeinträchtigung auf situationsbezogene und individuelle Faktoren, wie etwa die Substanztoleranz verwiesen und ausgeführt, die laut den übermittelten Informationen zum Zeitpunkt des Antreffens sowie der klinischen Untersuchung beobachteten dokumentierten Auffälligkeiten bzw Ausfallserscheinungen wären mit dem vorliegenden chemisch-toxikologischen Befund in Einklang zu bringen. Weiters wird im Gutachten ausgeführt, dass bei Bedarf an weiterführenden Untersuchungen um Mitteilung ersucht werde.
Ausgehend von der dargestellten Rechtslage sowie den Ausführungen im toxikologischen Gutachten, in dem eine straßenverkehrsrelevante Beeinträchtigung durch die festgestellte Suchtgiftkonzentration gerade nicht ausgeschlossen werden konnte, sondern eine solche zum einen für möglich erachtet und zum anderen ausgeführt wird, dass die Ausfallserscheinungen des Mitbeteiligten mit dem chemisch-toxikologischen Gutachten in Einklang zu bringen seien, hätte sich das VwG somit nicht ohne weiteres auf die geringfügige THC-Konzentration im Blut des Mitbeteiligten zurückziehen dürfen, sondern wäre - gegebenenfalls unter Ergänzung des toxikologischen Gutachtens und jedenfalls unter Befragung des Gutachters in einer mündlichen Verhandlung zur Beantwortung noch offener, relevanter Fragen, wie etwa der darin angesprochenen Substanztoleranz - verpflichtet gewesen, zu klären, ob hierdurch eine suchtgiftbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Mitbeteiligten im Zeitpunkt des Lenkens gegeben war.