VwGH: Zurechnung eines Rechtsmittels
Die Behörde ist dann, wenn nicht eindeutig klar ist, wem ein Rechtsmittel zuzurechnen ist, verpflichtet, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wer Rechtsmittelwerber ist; nur wenn die Behörde auf Grund des objektiven Erklärungswertes der Eingabe keinen Zweifel daran hat, dass diese einer nicht Parteistellung genießenden Person zuzurechnen ist, darf sie mit einer sofortigen Zurückweisung dieser Eingabe vorgehen
§ 8 AVG, § 13 AVG; § 10 AVG, §§ 37 ff AVG
GZ Ra 2021/02/0253, 18.10.2022
VwGH: Die Revision erweist sich mit ihrem Vorbringen, das VwG habe den gegen die Strafverfügung erhobenen Einspruch zu Unrecht als nicht dem Revisionswerber zurechenbar qualifiziert, als zulässig und berechtigt.
Die Behörde ist dann, wenn nicht eindeutig klar ist, wem ein Rechtsmittel zuzurechnen ist, verpflichtet, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wer Rechtsmittelwerber ist. Nur wenn die Behörde auf Grund des objektiven Erklärungswertes der Eingabe keinen Zweifel daran hat, dass diese einer nicht Parteistellung genießenden Person zuzurechnen ist, darf sie mit einer sofortigen Zurückweisung dieser Eingabe vorgehen.
Nach der Rsp des VwGH kommt es bei der Auslegung von Parteianbringen auf das aus diesen erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters an; Parteierklärungen und damit auch Anbringen sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Dem Geist des AVG ist ein übertriebener Formalismus fremd, weswegen auch bei der Auslegung von Parteianbringen iSd § 13 AVG kein streng formalistischer Maßstab anzulegen ist. Wenn sich der Inhalt eines von einer Partei gestellten Anbringens als unklar erweist, ist die Behörde entsprechend den ihr gemäß § 37 iVm § 39 AVG obliegenden Aufgaben verpflichtet, den Antragsteller zu einer Präzisierung seines Begehrens aufzufordern. Es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel muss davon ausgegangen werden, dass eine Partei nicht einen von vornherein sinnlosen Antrag stellt.
Die Auffassung des VwG, der Einspruch gegen die Strafverfügung sei ausdrücklich von der T GmbH erhoben worden, weil sich aus dem verwendeten Briefpapier der Gesellschaft, der Verwendung der „Wir-Form“ und der Zeichnung durch die T GmbH ergebe, dass die Beschwerde von der T GmbH im eigenen Namen erhoben worden sei, steht mit der genannten Rsp nicht im Einklang.
Entgegen den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis werden nämlich sowohl der Revisionswerber als auch die T GmbH in der Unterschriftzeile des Einspruchs genannt. Der Einspruch ist vom Revisionswerber unterschrieben. Zudem richtet sich der Einspruch gegen die Strafverfügung vom 1. Februar 2021, die nur gegenüber dem Revisionswerber als Geschäftsführer der T GmbH erlassen wurde. Dass das Briefpapier der Gesellschaft verwendet wurde, lässt vor diesem Hintergrund nicht ohne Zweifel den Schluss zu, dass der Einspruch nicht durch den Revisionswerber als Geschäftsführer der T GmbH erhoben worden sei.
Es ist daher für den VwGH nicht nachvollziehbar, weshalb das VwG davon ausging, der Einspruch sei jedenfalls ausschließlich der T GmbH zuzurechnen. Selbst wenn Zweifel an der Zurechenbarkeit des Einspruchs (auch) an den Revisionswerber berechtigt gewesen wären, wäre das VwG verpflichtet gewesen, sich Klarheit darüber, ob mit dem fraglichen Einspruch (auch) eine Anfechtung der an den Revisionswerber ergangenen Strafverfügung beabsichtigt gewesen wäre, zu verschaffen.
Indem das VwG davon ausgegangen ist, dass der Einspruch zweifellos nur im Namen der T GmbH erhoben worden sei und es daher unterlassen hat, die Parteiabsicht zu erforschen, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gem § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.